Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Weg war schwierig und ansteigend. Eine neue Wasserscheide von fast vie r zehnhundert Meter lag morgen vor uns. Ständig kletterten wir über Kuhgatter. Als es nicht mehr so weiterging, teilten wir unter uns ein paar Dinge aus Joannas viel zu schwerem Rucksack auf, bis er ganz leicht war. Aus irgendeinem Grund schleppte sie noch eine unhandliche Gurttasche mit. Ich trug sie eine ganze We i le für sie und fand es sehr unbequem. Ich versuchte, auf sie einzureden, daß sie die Campingausrüstung nach Hause schickt, aber sie blieb stur. Sie müsse dra u ßen schlafen, weil sie kein Geld hat, und dazu brauche sie all die Dinge. Was aber nutzte ihr gespartes Geld, wenn sie nicht weiter konnte? Ich argumentierte umsonst, Joanna hatte ihren eigenen Kopf. Elisabeth ließ mich den dummen K a valier spielen, marschierte indessen zehn Meter vor uns und langweilte sich d a mit, die Kälbchen mit ihrem dicken Stock zu pieken. Das machte mich nervös. Habe nicht der Herr die Tiere dem Menschen anvertraut, damit er gerecht über sie herrsche? Wären wir schneller, käme Sissi nicht auf solchen Unsinn. Aber ich brachte es einfach nicht fertig, Joanna in der Wildnis zurückzulassen. Ich lasse nie jemanden zurück. Mit Mühe und Not konnten wir Thomas und seine Freunde vor dem Ende ihrer Mittagspause einholen. Sie warteten bereits ander t halb Stunden auf uns und waren gerade dabei aufzubrechen. Thomas beschäfti g te die Rückfahrt. Die am nächsten Tag geplante Etappe von zweiunddreißig K i lometern schien ihm schon zu viel. Sein Freunde machten jedoch einen symp a thischen Eindruck. Sie blieben mit uns, bis sich Joanna etwas erholte, und halfen uns ein wenig mit ihr. Ich und Elisabeth waren schon ziemlich erschöpft, Joanna zu motivieren. Wir nutzten gleich die Gelegenheit und stürmten voraus. Nur so, als Auslauf.
Das Problem war ja nicht so sehr das Gehen selbst, als vielmehr das Gewicht, das auf dem Rücken lastete. Mußte man langsamer gehen, als die eigene Gehg e schwindigkeit gebot, fühlte man sich gleich doppelt so schwer beladen. In dieser Hinsicht herrschte auf dem Camino ein strenger Geist. Wer zu schwach war, um mitzukommen, wurde einfach zurückgelassen. Vielleicht war es eine Art Selbs t schutz. Meist mußte man selber alle Kräfte aufbieten, um die Etappe zu scha f fen, und dann noch andere durchzubringen? Dazu hatte man einfach keine Kraft mehr. Und nie wußte man, wann der letzte Tropfen das eigene Faß zum Übe r laufen bringt, wann der abendliche Gelenkschmerz zum chronischen Fall, wann die harmlose Blase zu offener Fleischwunde wird. Ein paar Pfund mehr im G e päck konnten der Auslöser sein. Dann war man ja selbst gescheitert. Und wenn das passiert, weinen die meisten. Und nicht nur junge Mädchen, auch alte Mä n ner. Aus irgendeinem Grund ist das Scheitern auf dem Camino ein persönliches Drama. Die Krankenschwester Margret, die ich seit Kempten dankbar im He r zen trug, erzählte damals beim Abschied, sie bete für alle Jakobus-Pilger, sie mögen ihre Reise auch wirklich beenden. Wenn es mir schlecht ging, tröstete mich, daß sie auch für mich betet.
Nasbinals erreichten wir wieder erst mit dem Glockenläuten um sechs Uhr, und so, wie wir waren, gingen wir gleich zur Messe. Thomas und seine Freunde drückten sich irgendwo hinten herum, doch ich, Sissi und Joana wollten vorne sein. Die Pfadfinderinnen sangen, der uns bekannte Priester hielt das Amt, und ich dürfte beide Mädchen auf die Wangen küssen. Ich betete für Joannas Knie, Sissis Lachen und meiner Mutter Operation. Danach gab es noch einen schönen Pilgerstempel und ein nettes Gespräch mit dem alten Gemeindepfarrer. Damit aber war das gute Timing dahin, und alles zerfiel. Elisabeth verschwand gleich nach dem Duschen mit irgendwelchen Frauen zum Essen, ich aber sollte auf J o anna warten und dann mit ihr nachkommen. Joanna aber wollte partout in der Herberge Nudeln kochen, und ich fand Elisabeth nicht. Statt dessen stieß ich auf Thomas und seine Freunde. Sie ließen mich in dem Glauben, Elisabeth werde noch kommen. In der Tat hat sie mich ein paar Minuten zuvor noch gesucht und hinterlassen, wo ich sie finde. Das sagten sie mir aber nicht. Sie fanden mich nett und wollten sich unterhalten. Nur daß ich andere Pläne hatte und kein so g u ter Unterhalter war. Und dies war eigentlich kein Restaurant, sondern eine züg i ge, von Touristen überlaufene Tagesbar an der Hauptstraße, mit schlechtem, viel zu teuerem Essen. Direkt hinter meinem Stuhl
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