Bis ans Ende der Welt (German Edition)
uns aber in Ruhe. Nach dem gestrigen Tag sendeten die Mädchen wohl keine passenden Signale aus. Elisabeth ging gar so weit zu kritisieren, sie hätten viel zu kurzes Haar. Hatten sie überhaupt nicht. Aus meiner Sicht waren es recht ansehnliche Burschen, gegen die ich bei M ä dels wie den meinigen nie und nimmer eine Chance hätte haben dürfen. Vor la u ter Übermut über so viel Disziplin und Zurückhaltung überredete Sissi Joanna, die Übernachtungsgebühr für heute zu schwänzen. Schließlich sei es nicht uns e re Schuld, wenn wir statt in der Herberge, hier in der Bar Geld ausgeben mu ß ten. Gut gebrüllt, Löwe. Für Joanna fand ich es in Ordnung, sie hatte ja nichts, aber besser wäre es, wenn wir für sie zusammengelegt hätten. Ich für meine Pe r son hatte jedenfalls nicht vor, mich mit einer sinnlosen Schuld zu belasten und ließ das Geld später - wie angewiesen - im Briefkasten zurück. Eigentlich war es ja gleich, die verkauften Aktien reichten bestimmt bis nach Santiago.
Saint-Côme-d’Olt, km 1456
Am nächsten Tag machten wir uns relativ spät zu viert auf den Weg. Monika marschierte mit uns, ihr kranker Mann nahm lieber das Taxi. Das war vernün f tig. Er hätte Joanna gleich mitnehmen sollen. Sie konnte auch ohne Gepäck nicht viel besser gehen als bisher. Aber sie wäre nicht mitgefahren. Man pilgert ja nicht mit dem Taxi. Sie war sehr tapfer, obwohl der Weg erst hundert H ö henmeter steil bergauf ging. Wenn Sissi da war, war sie glücklich, plapperte leicht dahin und lachte. Sissi der Darling, man gewöhnte sich an sie, man liebte sie. Aber Sissi das Fohlen brauchte Auslauf, lief bald wieder weit voraus, und Joanna war auf mich allein angewiesen. Jemand mußte sich um sie kümmern. Auch wenn er lieber bei den Fohlen geblieben wäre. Doch ich konnte sie nicht einmal halb so glücklich machen wie Elisabeth, obwohl ich mir alle Mühe gab. Bald weinte sie wieder. Als Sissi das Fohlen wieder einmal vorbei galoppierte, lief ich einfach davon, nun konnte sie nicht weg. Nach einer Weile lachte Joanna wieder, als ob es gar keinen Kummer auf der Welt gäbe. Ich behielt sie im Auge und kehrte bald zurück, aber diesmal blieb Elisabeth bei uns. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, daß es kein Zufall war. Sie war sehr feinfühlig und au f merksam, immer liefen irgendwelche seltsame Gedankenströme hin und her. Und mein Französisch war nicht gut genug, um alles mit irgendeinem altklugen, hinterhältigen Geschwätz zu verderben.
Die Siesta hielten wir auf einer herrlichen Wiese direkt am Weg ab. Wir hatten Zeit, denn die heutige Etappe war mit sechzehn Kilometern lächerlich kurz. Zumindest für mich und Elisabeth. Für Joanna und Monika war es die optimale Leistung. Anderthalb Stunden Blödeln, Lesen und Faulenzen schienen angeme s sen. Den anderen Pilgern waren wir wohl kein gutes Beispiel. Meist zogen sie verschwitzt auf ihren Blasen dahin wie François aus Quebec. Er lachte in seiner Hilflosigkeit strahlend, richtig ansteckend, rollte für eine Minute die Schaumm a tratze im Gras aus und dehnte den schmerzenden Rücken. Der Arme hatte es mit den Bandscheiben, den Plattfüßen und wer weiß noch. Manche liefen auch u n glaublich fit und energisch vorbei wie die zwei Nepal-Amerikaner, die zwar freundlich, doch stets mit Abstand grüßten und nie stehengeblieben sind. Es gab auffallend viele Jungfer oder Frauen im mittleren Alter. Die letzteren meist in Gruppen. Mindestens zweimal so viele weibliche wie männliche Pilger. Bede u tet es, daß Frauen gläubiger als Männer sind? Und dann das großartigste Paar auf dem ganzen Camino überhaupt – die achtundsiebzigjährige Oma mit dem siebenjährigen Mädchen. Ich konnte mich an ihnen überhaupt nicht satt sehen. Der Herr, der mit uns wohlgefällig all den keuchenden Gestalten zusah, strahlte geradezu, als die zwei näher kamen, langsam, wie fließend von Gatter zu Gatter wandernd, immer wieder ins ernste Gespräch vertieft haltend oder etwas Intere s santes betrachtend. Von unserer Wiese nämlich hatten wir einen guten Übe r blick über einen Teil des Weges. Ich versuchte, jemanden anzustiften, sie zu f o tografieren und mir später das Bild zu schicken. Ich fand aber niemanden, M o nika fotografierte nicht, und der Mann saß im Taxi. Ich wünschte, ich wäre nicht so unvorsichtig mit dem Fotoapparat gewesen. Und warum kaufte ich mir e i gentlich nicht eine von diesen fabelhaften Digitalkameras, die nicht viel wiegen und mit denen man kinderleicht
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