Bis ans Ende der Welt (German Edition)
wünschte mir gute Reise und verschwand. Ich saß noch eine kurze Weile müde und traurig etwas abseits auf einem Baumstamm, während ein paar Meter zurück fidele Hoc h stimmung herrschte. Frohsinn und Rummel um mich herum machten mich nicht heiter. Da fühlte ich mich immer eitel und einsam. Ich wollte nur noch ein wenig ruhen. Keiner schien zu bemerken, als ich zögerlich aufstand und ging. Bald aber legte ich Tempo zu. C’est la vie. Bis nach Saint-Côme-d’Olt waren es noch gute zwanzig Kilometer, und der Nachmittag war schon recht fortgeschritten. Joanna konnte halt nicht schneller. Ich mußte mich nun beeilen, wenn ich nicht von der Dunkelheit eingeholt werden wollte. Es tat mir weh, mich von Sissi nicht verabschiedet zu haben. Sie sollte mir fehlen. Ich habe mich an sie zu sehr gewöhnt. Sie schien mir anderwärtig beschäftigt, und so ein kurzer Abschied inmitten fremder Lustbarkeit war nichts wert. Ich konnte ihr doch nicht einfach die Hand schütteln, Servus sagen und gehen? Möglicherweise würde man sich noch unterwegs treffen und das Versäumte nachholen. Ich marschierte tausend Kilometer mit dem Herrn allein. Es war vielleicht keine schlechte Idee, es von nun an weiter zu tun. Auch wenn es weh tat. Adieu, mes filles. Je vous n'oublie pas.
Nach einer Weile aber holte mich Elisabeth ein, richtig erschrocken, ob ich sie denn nicht mehr mögen würde. Dann rannte sie weg, kam gleich mit Gepäck und Joanna zurück, und drehte sich nicht einmal um. Wir stiegen mühsam durch den struppigen Wald immer tiefer ins Tal hinab. Joanna aber konnte sich kaum noch fortbewegen. Auf halber Strecke, kurz vor Saint-Chély-d’Aubrac, blieb uns nichts anderes übrig, als ihr gesamtes Gepäck zu tragen. Die engen steilen Pfade voller Steine kosteten sie die letzten Reserven. Sie weinte nun häufig und hüpfte teilweise auf nur einem Bein. Damit machte sie dann auch das andere Knie fe r tig. Gott sei Dank kam die Stadt schon in Sicht. Elisabeth ließ uns zurück und ging erst die Herberge suchen, damit Joanna keinen überflüssigen Schritt mehr machen muß. Wir waren dabei auf die Hilfe des Herrn angewiesen. Ohne Rese r vierung und bei der Zahl der Pilger auf diesem Wegabschnitt war es überhaupt nicht sicher, ja nicht einmal wahrscheinlich, daß wir noch etwas finden. Meist wurden die Reservierungen schon am Vorabend oder spätestens am frühen Mo r gen getätigt. Und doch zweifelte keiner von uns am Erfolg. Und tatsächlich gab es einen komfortablen kommunalen Gîte und darin noch genau drei Plätze frei, die kurz zuvor jemand absagte. Nach dem Duschen entdeckte ich dort in einer Kammer schlafend Jörg, den Arzt, weckte ihn auf und ließ Joannas Knie unte r suchen. Seine Diagnose hieß akute Sehnenentzündung, der Heilvorschlag zwei Wochen strenge Ruhe. Ein paar Tabletten Diclofenac gegen die Entzündung ha t te er dabei, den Rest lieferte Elisabeth. Sie nahm sie schon seit einer Weile, also hatte sie womöglich auch Schmerzen, auch wenn sie sich nichts anmerken ließ.
Es schien wie verhext hier. Ich machte einen Erkundungsgang durch die Stadt und stöberte auf der Hotelterrasse das Bremer Ehepaar auf. Der Mann ist auf dem Pfad von einer großen Hornisse ins Bein gebissen worden, erlitt einen anaphylaktischen Schock und stürzte bewußtlos. Er kam zwar wieder zu sich, doch sein Bein schwoll beträchtlich an, war gefühllos und so kaum noch zu g e bra u chen. Die Ehefrau machte sich große Sorgen. Es schien keinen Arzt in dem Städtchen zu geben. Hinzu kam, daß sie kein Französisch und die Franzosen kein Deutsch und kein Englisch sprachen. Ich lief also wieder zurück zur He r berge und arrangierte einen Termin bei Jörg. Dem waren meine Arbeitsaufträge wohl nicht ganz recht, wollte er doch von allem Alltäglichen freikommen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu helfen. Ich kam mir wie der gute Sam a riter persönlich vor. Der große Macher, der allen Hilfsbedürftigen Linderung verschafft. Ein Wort reicht. Und da die Bremer sehr dankbar waren und sich so zeigen wollten, arrangierte ich wie selbstverständlich, daß sie auf ihre Kosten zusammen mit eigenem Gepäck auch das von Joanna transportieren ließen. Di e ser Service nämlich wurde auf dem Aushang der Herberge für acht Euro je Rucksack angeboten. Joanna hätte sich das nicht leisten können. Damit stand auch fest, daß wir in dieser Stadt zusammen mit den Bremern einen Tag Pause einlegen müssen. Ich fragte vorher beide Mädchen einzeln, ob sie
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