Bis ans Ende der Welt (German Edition)
stenfalls noch in der Jugend, wenn man den anderen noch völlig vorurteilsfrei trifft.
Ein Gewitter zog auf, und wir entlang des Lot an dem Lager der Afrikaner vo r bei, die gerade aus allen möglichen Fuhrwerken krochen und sich verstört die Augen rieben. Sie sahen nicht so aus, als ob man ihretwegen extra die Polizei rufen müßte, nur ein wenig verkatert. Zwei Einheimische versuchten im Fluß zu fischen. Die Fische waren wegen des Gewitters ganz nervös, was die Fischer freute. Der Fluß verlief hier in Schleifen zwischen riesigen Kalkwänden. Dazw i schen stopfte man zivilisatorische Errungenschaften wie Straßen und Staudä m me. Es gab einiges zu sehen, ich verlief mich gleich, François ging mir dabei verloren. Meine Erkältung hielt noch, ich fühlte mich schon am Morgen schwach wie eine Fliege im Winter. Vielleicht auch wegen der irrsinnigen Hitze und Schwüle, die seit der Frühe herrschte. Dabei hatte ich einige Hundert H ö henmeter hochzusteigen, weil gleich nach Gaillac ein neues Karstplateau a n fängt, das nach der nächsten Stadt Causse de Limogne heißt. Einmal da oben angelangt, war es toll, es gab Buchs- und Wacholderbäume, dürres Gras, wilde Blumen, blaue Schmetterlinge ringsherum. Und viele aromatische Gerüche. Bis nach Cahors gab es eigentlich nichts anderes, wenn man die Schluchten, den Himmel mit Goldrand und die todmüden Pilger nicht mitzählte. Trüffeln und ein mit Honig überbackener Ziegenkäse waren die lokalen Leckereien. Die meisten Einöden fingen mit dem Namen Mas an, was so etwas wie Haus oder Wohnstä t te heißen sollte: Mas del Pech, Mas de Borriers, Mas de Malat, Mas de Palat. Viele der Bauernhöfe standen leer, und es war nicht schwer sich vorzustellen, warum. Die Siesta verbrachten wir in einem dürren Wäldchen und sahen dabei den Eidechsen und den Pilgern zu. Die Norwegerin war nicht dabei, aber es gab einige neue Gesichter, die mir von nun an noch öfters begegnen sollten. Lim o gne en Quercy ließen wir links liegen. Wir hatten noch einige Lebensmittel und keine Kraft mehr für eine Dorfbesichtigung übrig. Die Wege waren voller Steine in allen Größen, was neben der unmenschlichen Hitze das Gehen erheblich e r schwerte. Sandalen waren hier völlig ungeeignet, und die Wanderschuhe fühlten sich bleiern an. In kürzerster Zeit stampfte man in einer Schweißpfütze. Sie drückten immer noch, und ich beschloß, sie nach der Reise an den Hersteller z u rückzuschicken, vielleicht könnte er sie als Reklame gebrauchen. Oder aus den Fehlern lernen, ich hatte inzwischen schon eine ganze Latte beisammen. Und mir dafür ein anderes, hoffentlich besseres Paar schicken. François meinte, er würde in diesem Fall gleich zwei schicken. Es sollte mir ein Trost sein für die Quälerei. Es war an der Zeit, wieder über einen Tag Pause nachzudenken. En t weder in Cahors oder in Moissac . Ich kam ans Ende meiner Kräfte, auch wenn mir François Komplimente machte, er würde es ohne mich gar nicht so weit g e schafft haben. Das Dumme war, daß man an manchen Stellen einfach so viel laufen mußte, um für die Nacht ein vernünftiges Dach über dem Kopf zu haben. Entweder gab es gar nichts, oder die Herbergen waren schon belegt. Auch der Führer warnte, daß in den Ferien häufig Touristengruppen unterwegs sind, die ganze Gîtes belegen. Die Pilger hatten hier Sympathien, doch keinen Vortritt.
Cahors , km 1644
Vielleicht war es die Krankheit, vielleicht die Erschöpfung, aber es blieb mir keine Erinnerung auf Varaire, das laut Führer im Mittelalter eine wichtige Stat i on beim Passieren des Causse de Limogne darstellte. Eine große steinerne Ki r che gab es hier, sehr wohl, aber das war in Frankreich auf dem Camino wirklich nichts Besonderes. Überall standen Gotteshäuser, die einem Bischofssitz keine Schande machen würden. Gab es da nicht ein Mauerrest von einem historischen Hospiz? Nein, es war ein Gemeindewaschplatz. Aber was habe ich zu Abend gegessen, wie und wo habe ich geschlafen? Wo war François, wo war der Herr? Nichts mehr da, alles aus dem Speicher gelöscht, verschüttet. Ich kann mich an jeden einzelnen Schritt beim Betreten und beim Verlassen von Le Puy , von Conques erinnern, an Gerüche, Menschen, Emotionen, hier waren es nur Steine, Staub und bleierne Hitze, bis wir am nächsten Nachmittag eine ältere französ i sche Pilgerin trafen und mit ihr bis Cahors zusammen marschierten. Sie hatte einen schwarzweiß gesprenkelten Hund bei sich, den sie sinnigerweise Pepper
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