Bis ans Ende der Welt (German Edition)
nannte. Die Hundegesellschaft konnte sie sich leisten, da ihr die Tochter mit dem Wohnwagen folgte und sie jeden Tag für die Nacht aufnahm. Sonst war es nämlich sehr schwierig, mit einem solchen Tier in den Herbergen unterzuko m men. Am ehesten noch mit einem Esel, der war dem Pilger erlaubt, da auch der Herr auf dem Rücken eines Esels in Jerusalem einzog. Das macht das wide r spenstige Tier in katholischen Kreisen zu einer Art heiliger Kuh. Es gab spezie l le Huftierherbergen, Hunde aber waren nirgends willkommen außer vielleicht bei den einheimischen Kläffern, die es zu Tausenden auf dem Weg gab. Auch macht ein normaler Hund nach etwa zwanzig Kilometern schlapp, braucht viel Wasser, was in trockenen Gegenden ein Problem sein könnte. Ein Hund auf dem Camino war schon was Besonderes.
Wir gingen einige Stunden zusammen den öden Weg und diskutierten die To r heit der deutsch-französischen und anderen Kriege, von denen diese Ödnis he r rührte. Seit dem Mittelalter wurde das französische Landvolk etliche Male stark dezimiert. Die Eroberungswallfahrten ins Heilige Land, die von dort eing e schleppte Pest, die Religionskriege, der Bürgerkrieg, die napoleonischen Kriege, die zwei Weltkriege – all das sog das historische Kulturland leer. Im Zug oder im Wagen fiele es einem vielleicht nicht so auf. Doch als Pilger zu Fuß nahm man es deutlich wahr. Im Vergleich mit Mitteleuropa, wo sich die Dörfer fast berühren, herrschte hier eine richtiggehende Leere. Man sah kaum Ortschaften und kaum Menschen, eigentlich mehr Pilger als Einheimische. Ohne das histor i sche Pilgergeschäft hätten wohl noch ein paar Menschen mehr in die Industri e zentren abwandern müssen. Und überall an den Kirchen und Rathäusern standen die Mahnmale mit den Namen der Gefallenen und Verschollenen. Man konnte ihnen nicht aus dem Weg gehen, und ich befand mich auf eine gewisse Art mi t tendrin. Auf dem Camino nimmt man die Dinge einfach anders wahr, mißt ihnen mehr oder auch weniger Wert als sonst, wenn man zu Hause das Gold zählt und das Silber poliert. So erzählte ich die Geschichte von meinem Autounfall in Saint Afrique . Ein entgegenkommender Wagen kam in der Kurve ins Schle u dern und stieß mit hoher Geschwindigkeit mit unserem Auto zusammen, das daraufhin anderthalb Meter kürzer wurde. Meiner Freundin brach der Siche r heitsgurt die Brust. Man brachte sie ins örtliche Krankenhaus, behandelte sie aber nicht allzu freundlich. Und die Gerdarmen mich auch nicht. Das feindselige Verhalten blieb mir unerklärlich, bis ich nach ein paar Tagen auf ein Denkmal für gefallene Partisanen stieß. Es hieß, deutsche Soldaten hätten sie massakriert. Einige der Einheimischen verloren dabei Angehörige. Darunter auch die Obe r schwester ihren Bräutigam. Nun ist es halt so, daß Deutsche die Schuld für alles in den zwei Weltkriegen tragen sollen. Doch was hatte ich denn damit zu tun? Meiner Generation stand der Zweite Weltkrieg genauso fern wie die Schlachten des Mittelalters. Doch als ich es zu Hause erzählte, kam ein etwas entfernter Verwandter mit der wahren Geschichte heraus. Er diente als Panzergrenadier in der Wehrmacht, nahm gar am Unternehmen Wintergewitter teil, das den Stali n gradkessel aufbrechen sollte. Zum Zeitpunkt der Alliierteninvasion in der No r mandie lag die Einheit zur Erholung an der Côte Azur und sollte im Eilmarsch in die Bretagne verlegt werden. Auf ihrem Weg wurden sie jeden Morgen von den Hügeln beschossen. Es gab Verluste. Da das Muster immer gleich war, le g ten sie sich eines Nachts da oben auf die Lauer und schlugen den heimtück i schen Feind mit deutscher Gründlichkeit. Was hätten sie sonst tun sollen? Wer war hier Opfer, wer der Täter, und wo stand ich? Eine böse Tat gebiert bekann t lich die nächste, und wir sehen dumm zu oder mischen mit Geschrei mit. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. [40] Doch auch Gutes gebiert Gutes, und jede gute Tat vermehrt sich tausendfach. Da wir aber nie wissen können, ob wir dem Bösen anheimfallen oder stark genug sind, Gutes zu tun, bitten wir den Herrn, er möge uns nicht in Versuchung führen. Rein theoretisch rundherum betrachtet, ich für meine Person wäre wahrschei n lich nicht mitgegangen, um aus der Sonne ein Paar deutsche Okkupanten unten im Tal abzuknallen, ich hätte mich aber im umgekehrten Fall wohl mit auf die Lauer gelegt, um der Gefahr zu begegnen, und dabei womöglich jemanden get ö tet. Vielleicht
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