Bis ans Ende der Welt (German Edition)
und hielten Gespräche mit Unbekannten. Es war einfach, wir waren einfach und gut drauf. Ich denke, jeder wäre es nach einem Tag in stehender Hitze auf den staubigen Wegen des Quercy. François stellte fest, das mir Frauen nachsehen. „Fast verzweifelt guckte sie dich an,“ regte er sich auf. „Nur deshalb hat sie sich mit mir überhaupt unterhalten!“ Das ehrte meine Eitelkeit, aber ich hatte keinen Anteil daran. Darüber hinaus verlangten galante Gespräche eine höhere Sprac h fertigkeit, als ich im Französischen vielleicht aufbringen konnte. Oder auch nicht. Ich erklärte ihm, was mir von Jean Luc erzählt wurde, ich sähe einem p o pulären französischen Weltumsegler sehr ähnlich. Allerdings war da ein Ha c ken. Er sei erst kürzlich vom Mast gefallen und gestorben. François dachte da r über eine Weile aufrichtig nach. Er war wirklich goldig. Ich nahm es nicht ernst, ich verstehe nichts von Frauen und merke nicht, wenn sie mir nachsehen. Wenn man nur die eine Richtige finden könnte, die auch dabei bleibt. Das wäre mir lieber. Wir gingen in ein gutes Restaurant und aßen und tranken, was uns einfiel, ohne uns von den Kosten allzu sehr schrecken zu lassen. Wenn man sich umsah, war der Laden voll anderer Pilger, die wir schon unterwegs trafen. Die Nepal-Amerikaner, die zwei deutschen Ehepaare, ein paar Studenten von der Sorbo n ne. Offenbar ging es ihnen ganz ähnlich wie uns. Alle hatten wir das Bedürfnis nach Menschen und Geselligkeit. François aber klagte, die Studenten seien zu arrogant, da sie uns mit keinem Wort beachten, obwohl wir uns unterwegs so oft begegneten. Was sollte ich dazu sagen? Sollten doch die Herren Studenten tun, was ihnen beliebt.
Lascabanes , km 1666
Am nächsten Tag startete ich eingedenk der kommenden Hitze schon sehr früh. François begleitete mich noch über die herrliche Pont Valentré mit, machte dort viele Fotos und einiges Aufsehen, während ich in die steile Felswand einstieg, mit der die Tagesetappe begann. Oben auf dem Kalkplateau angekommen, sah ich noch einmal zurück auf die Brücke, François und die mittelalterliche Stadt dahinter, und es war mir ein wenig mulmig dabei. François wedelte immer noch fleißig mit beiden Armen zum Abschied. Am Vorabend schenkte er mir noch eine Postkarte von Conques mit der Pilgerherberge darauf. Ziemlich romantisch. Ich schickte sie Elisabeth mit dem Versprechen, sie auf dem Heimweg in Ve r sailles zu besuchen. „Je te port dans mon cœur!“ Ich machte ein Kreuzchen an der Stelle, wo wir uns getrennt haben. Ich bat den Herrn, auf François, Elisabeth, Joanna, Stephanie und all die anderen Menschen, die mich auf meinem Weg b e gleitet haben und mir teuer geworden sind, ein Auge zu haben. Wer und wie auch immer sie waren, sie waren das Salz der Erde. Damit zog ich weiter durch trockene Täler und Schluchten, in denen die Luft vor Hitze flimmerte, und ve r breitete gute Wellen überall um mich herum. Der Herr sagte nichts dazu, wie er nie etwas sagte, aber immerhin ging er wieder mit, und er schien mir nicht zu grollen, weil ich mich in der letzten Zeit vielleicht mehr mit eitlen irdischen Dingen als mit ihm beschäftigte. Immer mehr begriff ich, warum man eine so l che Reise allein unternehmen muß, sosehr man sich sonst nach menschlicher Gesellschaft sehnen mag.
Schwitzend und keuchend erklomm ich die Schlucht und passierte Les Mathieux , mein erstes Dorf an diesem Tage. Alles wie ausgestorben, wie üblich. Ich vermutete, daß die meisten Menschen hier auswärts arbeiten und erst am Abend nach Hause kommen. Der Führer wußte dagegen zu berichten, daß die Engländer hier mit Vorliebe Feriensitze kaufen, die dann häufig leer stehen. J e denfalls gestaltete sich das französische Landleben sehr ruhig. Ich kam an einer nagelneuen privaten Pilgerherberge vorbei. Sie hatte ein kleines Schwimmbad, von dem man direkt in die trockene karge Landschaft rundherum blicken kon n te. Die Grillen sangen dabei um die Wette und der Wind strich warm über die Haut wie die Hand der Geliebten. Es war eine hitzige Versuchung. Ich stampfte durch das menschenleere Dorf und malte mir aus, wie schön es sich hier faule n zen ließe. Um mich abzulenken, stellte ich mir Sissi vor, wie sie vor mir geht, unbeirrt und zielbewußt, als ob sie keine Müdigkeit kannte. Es sah ziemlich echt aus. Bis ich mich umsah, war der verführerische Platz weit hinter mir.
Le Quercy Blanc heißt die Landschaft südlich von Cahors wegen der weißen Kalk formationen.
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