Bis ans Ende der Welt (German Edition)
traf die Revanche dann doch nicht den Falschen. Wie auch immer, sie traf. Meine Freundin veränderte sich nach dem Unfall, gab mir später sogar Schuld daran und verließ mich schließlich unter sehr unschönen Umständen. Sie nahm die Liebe mit und fügte mir eine Wunde zu.
Das Gespräch half uns einigermaßen, die Widrigkeiten des Weges zu vergessen. Vor allem François. Der Arme fand oft genug nicht einmal eine Grasnarbe, um seine Matratze auszurollen, und trottete nun aus letzter Kraft. Der Hund war auch nicht besser dran. Hunde sind eben nicht zum Dauerlauf gebaut. Wir tren n ten uns herzlich oberhalb von Cahors . Wir zwei wollten da übernachten, wä h rend die Französin von der Tochter zum nächsten Campingplatz gebracht wurde. Am nächsten Tag traf ich unterwegs tatsächlich diese Tochter mit Pepper beim Spazieren. Es war eine attraktive junge Dame, mit der ich gerne ins Gespräch kam. Ich rief den Hund bei seinem Namen, was sie sehr in Erstaunen brachte, da sie von unserer Bekanntschaft nicht wußte. Ich zog sie damit eine Weile auf, bis ich ihr endlich die Wahrheit gestand.
Historisch gesehen ist Cahors uralt, es geht auf den keltischen Stamm der C a durques zurück, der einst Quercy besiedelte, war auch für die Römer von Bede u tung, und seit dem Mittelalter stellt es eine der wichtigsten Pilgerstationen auf der Via Podiensis dar. Das aufregendste Bauwerk ist Pont Valentré , eine Weh r brücke aus dem 14. Jahrhundert mit drei befestigten Türmen, sechs Bögen und mit spitzen Bastionen bewehrten Pfeilern. Es wäre gewiß ein guter Ort für einen Tag Pause. Ich konnte die Fußsohlen nicht mehr spüren, dennoch brannten und schmerzten sie. Und nach wie vor kam bei jedem Schritt der stechende Schmerz von der tiefliegenden Blase in der Ferse. Schon am Morgen war ich nach ein paar Schritten so müde, als ob ich schon den ganzen Tag marschiert wäre. Der Zustand verschlechterte sich allerdings nicht weiter. Am Abend war ich eben genauso fertig wie am Morgen. Immer schlimmer wurde dagegen der Mineral i enmangel. Trotz Tabletten. Es war sehr heiß, und ich verlor durch das Schwitzen mehr, als ich einnehmen konnte. Messer und Gabel wurde ich nur los, wenn ich mir mit der anderen Hand die verkrampften Finger auseinander bog. Es störte mich, wenn wir am Abend alle zusammen am Tisch saßen. Keiner war so lange unterwegs wie ich, also hatte ich keine Leidensgenossen. Die anderen litten „nur“ an Blasen, Gelenk- und Rückenschmerzen. Und dennoch zog es mich u n aufhaltsam weiter. Inzwischen hatte ich ja den Rhythmus, den ich brauchte. G e hen, Trinken, Essen, Waschen, Schlafen, Beten und Meditieren. Als ob man nie etwas anderes getan hätte. François zollte dem große Bewunderung. Und machte einen Urlaub. Am Abend beschloß er nämlich, für einige Tage nach Toulouse zu fahren, um sich beim Bruder seiner Freundin von den Strapazen zu erholen. So ließ ich wieder jemanden, den ich liebgewonnen habe, zurück. „Es ist seltsam, so auseinander zu gehen,“ sagte er, als wir uns zum Abschied umarmten. Offe n bar fühlte er dasselbe. Es ist in der Tat seltsam, wie schnell man auf dem Cam i no jemanden ins Herz schließt, obwohl man kaum etwas über ihn weiß. Wie bei den Kindern. Auch sie schließen Freundschaften schnell und spontan und ohne Grund und Nutzen. Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. [41] Als Kind pa s siert man den Camino auch am besten. Des Kindes Welt ist zugleich klein als auch unendlich groß, ganz einfach und zugleich kompliziert. Man freut sich, man ist traurig, man weint. Man ißt, wenn man hungrig ist, ruht, wenn man m ü de ist. Was nicht ist, das gibt es nicht, und doch kann man sich a l les erträumen. Heute ist heute, und morgen kommt erst morgen, und der Morgen ist heute ohne Bedeutung. Heute ist endlos, ich bin heute, es wird immer heute sein, ich werde immer sein. Es gibt kein Ende, vertraut auf Menschen und den Herrn. Oder doch lieber anders herum.
Die Herberge, ein riesiger Bau, der ehemals als Lehrlingsheim oder ähnliches diente, lag sehr praktisch direkt im Zentrum, war allerdings ein wenig zu laut und ziemlich verkommen. Aber wir konnten einfach und ohne Umwege in die Stadt gelangen, Essen gehen und Menschen begegnen. So viele auf einmal sah ich das letzte Mal in Genf, aber dort fühlte ich mich nicht mit einbezogen. Oh, das vornehme Genf, hier aber herrschte das Volk. Wir machten das Beste daraus
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