Bis ans Ende der Welt (German Edition)
und wenn ich wach wurde, schlief ich nicht gleich wieder ein. Es war eine herrlich lauwarme Nacht draußen, mit Sternen wie Wagenräder. Ich ging in den himmlischen Sphären auf. Irgendwo hinter Cahors oder vielleicht noch we i ter weg tobte ein Gewitter. Es war so weit, daß man es nicht mehr hören konnte, nur die Blitzlichter erhellten den Horizont und ließen große Gewalten ahnen. Doch ich saß in einer Oase des Friedens. Was auch immer sonst im Leben von Bedeutung war, da hatte es keine Dringlichkeit. Der Herr ließ sich unweit von mir nieder und tat null, da die Welt in perfekter Balance war. Es gab nichts, was sie verbessern würde, also ließ er sie nur so geschehen, und darin lag viel Gn a de.
Lauzerte, km 1689
Auch heute gelang mir ein zeitiger Start am Morgen, vor acht Uhr war ich schon unterwegs. Dieser Ort gab mir neue Kraft, und ich spürte, daß hier ein neuer A b schnitt begann. Die Berge Savoyens, die romantischen Täler der Rhône und der Loire, die wundersamen Vulkankegel von Le Puy , der Himmel mit Goldrand über Aubrac, die vor Hitze zitternde Luft über den Kalkplateaus des Quercy l a gen nun hinter mir, und damit wohl auch die Hälfte der Via Podiensis . Dafür hatte ich dem Herrn zu danken, daß er mich hierher führte und mir so viele neue Dinge zeigte, und da gerade eine Jakobskapelle am Weg stand, tat ich es ausgi e big. Dann aber wurde ich mir untreu und umging das urwüchsige mittelalterliche Montcuq auf einer Abkürzung, um mir zwei, drei Kilometer des Weges zu sp a ren. Aber es zog mich heute nicht zu den Menschen, der einsame Marsch durch die geräumige Landschaft voll stiller Freude, frei von Verlangen und Willen, entschädigte mich dafür. Ich fühlte mich nun völlig losgelöst von meinem Z u hause, meinem Leben dort, den Dingen, die ich besaß, und von denen ich glau b te, besitzen zu müssen. Hier sind meine ganzen Bedürfnisse auf zwölf Kilo G e päck zusammen geschrumpft, einschließlich der täglichen Baguette, die ich keck herumtrug. Und sollte ich mal mehr brauchen, hatte ich nur den Herrn darum zu bitten. Auch Geld besaß hier kaum einen Wert, außer der obligatorischen Au s gaben fürs Essen und Schlafen, da man dafür kaum etwas sinnvoll Überflüssiges kaufen konnte und würde. Ich wäre versucht zu behaupten, nie im Leben sei ich bei so wenig Besitz so reich gewesen, aber es wäre gelogen. Meine ganze J u gend lebte ich so, frei und unbekümmert von materiellen Sorgen und Begierden. Was ich ohnehin nicht schon besaß, suchte ich nicht. Erst später im Leben fing ich an, Dinge zu begehren und zu sammeln, mich um vieles zu bekümmern, Ve r luste zu zählen, für die Fälle des Schicksals zu wappnen und zurückzulegen. Geh zur Ameise, du Fauler, betrachte ihr Verhalten, und werde weise! Sie hat keinen Meister, keinen Aufseher und Gebieter, und doch sorgt sie im Sommer für Futter, sammelt sich zur Erntezeit Vorrat. Wie lang, du Fauler, willst du noch daliegen, wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Noch ein wenig schlafen, noch ein wenig schlummern, noch ein wenig die Arme verschränken, um ausz u ruhen. Da kommt schon die Armut wie ein Strolch über dich, die Not wie ein z u dringlicher Bettler. [42] So sei es, hier aber wurde ich wieder frei wie einst. Ich h a be beinahe schon vergessen, wie es damals war.
In Folge dieser aufgeräumten Stimmung kam ich zügig voran und stand schon früh am Nachmittag am Fuß von Lauzerte . Schon im 5. Jahrhundert war der H ü gel von Lauzerte ein befestigter Ort der Gallier. Dort oben lag die Altstadt, die freilich erst aus dem 13. Jahrhundert stammte, und die kommunale Herberge. Auch dieser Ort stand im Verzeichnis der schönsten Dörfer Frankreichs, war a l so mehr als sehenswert. Der Berg jedoch war immerhin steil genug, daß eine Treppe hin führte. So blieb ich aus Faulheit lieber in einer privaten Unterkunft unterhalb der Stadtmauern, über die ich zufällig stolperte. Das am Hang geleg e ne Bauernhaus machte einen guten Eindruck, alles war sauber und wohl anzus e hen, die Wirtsleute waren überaus freundlich und großzügig. Am Abend vera n stalteten sie im Garten eine Festmahlzeit, wie ich sie vor und danach nicht erle b te. Sie bestand aus mindestens acht köstlichen Gängen, die sogar mich endlich satt machten, und ich möchte lieber nicht von der Unmenge Wein reden, mit dem ich alles hinunterspülte. Am besten aber waren die im Armagnac eingele g ten Feigen, die es zum Abschied gab. Das brach wirklich alle Herzen, und
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