Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Weiter im Süden ist das Land sehr fruchtbar, Wein und G e müse werden angebaut und ihre Qualität hochgelobt. Der Wein, den ich zu Ha u se zu Tisch trinke, kommt von da. Vorläufig aber war von dieser Fruchtbarkeit nur wenig zu merken. Vor mir lag eine rauhe, naturbelassene Landschaft. Sie liegt zwar nur etwa zweihundert Höhenmeter über dem Meer, aber das Gelände ist zerklüftet und mannigfaltig und stellt einige Anforderungen an den Wand e rer. Die herrliche, malerische Schlucht des Flusses Tarn lag hier irgendwo in der Nähe, aber eben nicht direkt an dem Camino. Über die Schlucht haben die Fra n zosen eine futuristische Autobahnbrücke gebaut, wie aus einer anderen Welt. Beides kannte ich von Bildern und hätte es gerne mit eignen Augen gesehen. Aber der Camino hielt mich in seinem Bann, Santiago zog mich an wie ein M a gnet. Ich freute mich dennoch, so nah dem ersehnten Platz gekommen zu sein, und nahm es wieder zum Anlaß, später einmal mit dem Wagen zu kommen und das Versäumte nachzuholen. Ich wärmte mich an diesem Gedanken und genoß vorläufig das, was sich einem Fußgänger von sich aus bot.
Es wurde immer heißer und schwüler, und ich sehnte mich bald nach einer Pa u se, obwohl die Zeit dafür noch nicht reif war. Am Horizont ballten sich dicke Gewitterwolken zusammen. Ich sah ihnen von einer struppigen Bergwiese eine Weile zu, und kalkulierte, wann sie mich wohl erreichten werden. Aber es gab hier sowieso keine Deckung gegen Sturm, Blitz und Hagel. Ich schob also die Sorgen auf den Herrn und genoß das Schauspiel. Die bleierne Hitze ließ aber keine große Freude über die Schönheit der Natur aufkommen. Die Knorreichen und Kiefern schienen sich vor der Sonne zu ducken. Die meisten Pflanzen hier waren hart und stachlig, wehrhaft gegen Eindringlinge. Man saß nicht sehr b e quem, es piekte in den Hintern. Kein Mensch ließ sich blicken, weder Einhe i mische noch Pilger, und mich zog es bald weiter. Zum Ausgleich machte ich hinter dem Berg eine längere Pause auf dem Kinderspielplatz eines Familie n hauses. Es gab da keinen Zaun, dafür zwei nach Harz riechende Lerchenbäume gleich am Weg und darunter einen schönen warmen Rasen. Ich konnte einfach nicht widerstehen. Der Besitzer hielt gerade das Mittagsschläfchen. Als er dann nach der Siesta verschlafen herauskam und mich in seinem Garten liegen sah, winkte er meine Entschuldigung nur freundlich davon, sprang in den Wagen und sauste wieder zur Arbeit. Das sollte ich nur zu Hause versuchen, die Pest und die Polizei wären mir sicher. Als Pilger war ich inzwischen ziemlich abgebrüht, das stand nun fest.
Trotz allem Pausieren kam ich noch zeitig in Lascabanes an. Die kleine Pfar r herberge lag direkt neben der kleinen Kirche, dahinter schlenkerte sich der C a mino durch die Wiesen weiter. Es war ein guter Ort, um zu verweilen. Nach und nach trödelten andere Pilger ein, die mich von nun an bis zu den Pyrenäen b e gleiten sollten. Thibaud, ein Doktorand von der Sorbonne, Jean-Luc mit seiner Ehefrau, Philippe, ein Klavierspieler aus der Normandie, die hübsche Laure mit Freundin, beide Optiker aus Nord-Paris. Später gab es einen Gottesdienst für die Pilger, sehr intim und emotionell. Der Pfarrer gab sich große Mühe. Während wir wie die Apostel rund um den Altar saßen, wusch er uns der Reihe nach die Füße, wie der Herr es mal getan hat. Doch eigentlich jeweils nur den einen, es war ja schließlich eine symbolische Handlung. Das muß mich arg ausgehungert haben. Zum Abend aß ich gleich drei Portionen, spülte mit einem halben Liter Rotwein nach. Als ob ich seit Tagen nichts gegessen hätte. Danach ging ich in den Garten, wollte mich nur irgendwo wie eine Schlange zusammenrollen, r u hen und verdauen, bestenfalls noch ein wenig am Tagebuch schreiben, entdeckte jedoch, daß Laure ein Buch von Milan Kundera dabei hatte. Also konnte ich nicht umhin, als über Kundera etwas zu erzählen, was schließlich in eine lange Vorlesung über die tschechische Exilliteratur ausartete. Es spricht für die Pilger, daß sie an meinen Ausführungen willig und lange teilnahmen. Und sie hörten nicht nur passiv zu, sondern stellten dazu auch viele Fragen, die auf echtes I n teresse hindeuteten. Ja noch mehr, es kamen immer weitere dazu und keiner ging mehr weg, bis der Tag um war und die Dämmerung kam.
In der Nacht wachte ich auf und ging hinaus, um der Enge der Schlafkammer zu entkommen. Das Schlafen unter anderen Menschen bereitete mir immer noch Probleme,
Weitere Kostenlose Bücher