Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
Vom Netzwerk:
trödelten in den Pausen andere Pilger an, und angezogen von dem ländlichen Charme Charlots blieben sie hängen. So kam stets ein lustiger Haufen zusammen. Meist junge Leute wie Philippe, der mich noch bis nach Burgos begleiten sollte. Eine zeitlang hing er da ständig herum, vermutlich mehr wegen Angélique als dem Muli. Doch auch seriöse ältere Herrschaften aus besseren Kreisen wie Alain, Ségolène , Jean-Luc und Ehefrau fanden Gefallen daran und gehörten in den Kreis der Stammgäste. Eine zusätzliche Attraktion dieses Wegabschnitts stellte eine katholische Fra u engruppe dar, die von einem Ehemann/Bruder/Sklaven logistisch versorgt wu r de. Mit dem Wagen transportierte er das Gepäck, baute Pausentische mit Kaffee und Gebäck auf, sorgte für Übernachtung und Mittagsessen und brachte die Damen auf den richtigen Weg, wenn sie von lauter Plaudern davon abkamen. Man traf ihn ständig, wenn nicht über dem Kaffeestand, so atemlos entgegene i lend mit dem Mobiltelefon am Ohr und dem agitierten Ausruf: „Avez-vous vu les filles? Illes se sont trompées!“ Die „verirrten Mädchen“ allerdings waren wohlproportionierte, zähe Matronen womöglich in den Vierzigern, deren scha r fen Blicken und Zungen ich instinktiv lieber aus dem Weg ging. Jedenfalls hatte der Mann viel zu tun, was für Abwechslung und Belustigung sorgte und den ü b rigen Galliern beiderlei Geschlechts reichlich Gelegenheit gab zu lästern. Zu Frauen hatte man charmant zu sein, war aber nicht ihr Diener.
    Als einer der letzten Pilger kam ich an diesem Tag in der Herberge von Saint Antoine unter. Die Frauengruppe reservierte das Meiste davon. Es war nur ein alter, nun zum Gîte umgebauter Bauernhof inmitten von Feldern und Wiesen, aber nicht ohne Reize. Er lag direkt vor den Toren der historischen Kleinstadt, die mit richtigen Mauern und zwei zinnenbestückten Wehrtürmen am Ein- und Ausgang prunkte. Alles echt historisch und sehenswert. Früher einmal stand hier ein Hospiz des Ordens der Antoniter, dem der Ort seinen Namen und eine stat t liche Kathedrale verdankt. Es schien mir, daß man hier fast ausschließlich vom Tourismus lebte. Es gab einige Souvenirläden und eine urige Kneipe, die z u gleich als Versorgungsladen für die Bewohner diente. Wir taten uns zusammen, um gemeinschaftlich zu kochen, und starteten eine Einkaufsexpedition. Zu ka u fen gab es hier nicht viel, es reichte gerade noch für Spaghetti, Käse und Wein. Wichtig war aber den Franzosen, daß es ausreichend Gänge gab. Nur einfach e i ne Mahlzeit zu kochen und basta, war nicht genug. Käse, Wein und Süßes zur Nachspeise wurden lebhaft und ernsthaft diskutiert. Sogar meine Meinung wu r de gefragt. So eine Verschwendung. Ségolène wurde die Ehre zuteil, aus den vorhandenen Vorräten den richtigen Wein auszusuchen. Der hatte nicht nur im Geschmack optimal zu sein, sondern auch im richtigen Preisleistungsverhältnis. Das Kochen übernahm dann mit Hingabe Thibauld, der Doktorand von der So r bonne. Das hätte ich ihm, ehrlich gesagt, zuvor nicht zugetraut. Anfangs machte er auf mich einen etwas eigenbrötlerischen Eindruck. Als ich ihn vor etwa zwei Wochen in den knorrigen Wäldern des Quercy zum ersten Mal sah, stolperte er ungeschickt über Kiesel und Rinnen und murmelte Seltsames vor sich hin. Vie l leicht war es moderne Poesie. Er schleppte nämlich so ein abstraktes Buch mit sich herum, während ich nur einen völlig idiotischen Spionageroman las. Aber unsere Ansprüche auf das Französisch waren wohl ganz unterschiedlich, und ich nahm alles einfach gelassen hin. Doch an diesem Abend setzten mich die Fra n zosen damit in Erstaunen, daß sie über Spaghetti ein rohes Ei kippten. Ob es It a liener ohne Murren hingenommen hätten? Offenbar wußte man in Frankreich nichts von einer Ansteckungsgefahr von Hepatitis, TBC oder gar Vogelgrippe. Ich zog selbstgerecht echten Parmesan vor, den es hier zum Glück zu kaufen gab. Es war ja nicht überall selbstverständlich. Nach dem Abendessen sang im Garten die Frauengruppe mehrstimmig schöne Kirchenlieder zur Gita r re. Das gefiel mir sehr.
Lectoure, km 1769
    In der Nacht schnarchte es in den Schlafräumen gewaltig, auch aus dem Zimmer der Frauengruppe, aber ich schlief bald fest ein. Obligatorisch saß ich dann in der Nacht unter den Sternenrädern und pries den Herrn für seine Schöpfung. Überall über dem französischen Camino gab es diesen gewaltigen Himmel – tags mit Goldrand, nachts mit Sternenrädern. Diese Weite tat

Weitere Kostenlose Bücher