Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Weile gelang es mir gleichzuziehen. Dann allerdings mußte ich zu meiner Übe r raschung feststellen, daß es sich um eine Frau handelt. Offenbar eine Spanierin, eine Einheimische, und bestimmt kein Pilger. Sie bewegte sich absolut sicher, als ob sie in diesem Terrain täglich auf und ab ginge. Wir wechselten nur die n ö tigsten Worte, mehr war in dieser Lage weder angebracht noch sinnvoll. G e meinsam und doch jeder für sich kämpften wir gegen den Wind und den Regen. So ging es eine ganze Weile. Dann plötzlich blieb die Frau stehen und wies mit dem Arm hinaus in die düstere Ödnis. Da solle ich hin. Ich sah nichts, was einen Weg oder Pfad ähnlich wäre und hatte starke Zweifel. Aber sie blieb hartnäckig, das sei der Weg zum Paß, bestimmt. Weiter oben, knapp an der Sichtgrenze war tatsächlich was. Es hätte eine gelbe Markierung am Boden sein können. Falls es eine war. Die hätte ich aber allein nie gesehen und wäre einfach vorbeigelaufen. Steckte der Herr dahinter? Ich sah mir die Frau genauer an, was sie sich ruhig gefallen ließ. Keinerlei Regung, auch kein Unwille, nichts als nur Ruhe. Nun gut, der Herr ließ sich nicht in die Karten blicken. Man konnte sich nur beda n ken und fügen. Das tat ich und ging ich in der gewiesenen Richtung, und siehe da, da war tatsächlich ein gelber Farbtupfer auf einem flachen, moosbewachs e nen Stein und ein paar ausgetretene Stellen. Es konnte alles Mögliche bedeuten, sogar den Camino. Etwas hilflos sah ich mich um. Die Frau unten auf der Straße war nicht mehr sichtbar, auch sonst kein Pilger. Wo waren die denn eigentlich? Es blieb mir nichts anderes übrig, als dem kaum sichtbaren Pfad durch die patschnassen Wiesen zu folgen. Es ging immer noch bergauf, ein gutes Zeichen. Denn ein Paß hat oben zu sein. Nur daß es von einem Paß vorläufig noch keine Spur gab. Hatte nicht Florence gestern noch ein „fabelhaftes Wetter“ gehabt? Der Fernsehkomiker sei hier vor Hitze und Durst fast umgekommen. Wie Sch a de, heute hätte er sich hier tot saufen können. Es schien, daß ich nur den Fuß in die Berge zu setzen hatte, um den Weltuntergang heraufzubeschwören. Kälte, Nässe und Finsternis wie in der Schweiz.
Irgendwann stieß ich dann in einer Senke am Waldrand auf einige Touristen, die sich um eine Wasserstelle drängten und erbärmlich froren. In diesem Wind und Wetter wäre ich hier wohl einfach vorbeigelaufen, doch einmal aufmerksam gemacht, erkannte ich, daß dies eine historisch kritische Stelle war. Kein Zwe i fel. Es gibt nämlich ein passendes Bild aus dem 15. Jahrhundert, dem nach wohl gerade hier der berühmt berüchtigte Ritter Roland starb, als Karl auf der Flucht vor den frisch eroberten Sarazenen von den baskischen Terroristen überfallen und gründlich verdroschen wurde. Die christlichen Basken schonten niemanden, brachten alle, ja sogar den Roland um, plünderten den Troß und verschwanden in den Bergen. Seitdem soll in stürmischen Nächten das Echo des Olifanten, R o lands Horns, zu hören sein, in das er beim Sterben gestoßen haben soll, um das Hauptheer Karls zu Hilfe zu rufen. Aber wo war da schon der Karl! Der Nac h hut Napoleons erging es übrigens ähnlich bei Borodino bei seiner Rückkehr aus Rußland. Ja, die Letzten beißen die Hunde. Mir jedenfalls schien das kollektive Zähneklappern an dieser Stelle ein recht merkwürdiges Verhalten. Ausgerechnet bei diesem Wetter, da lungert man doch nicht irgendwo herum, sondern zieht ins Warme. Die armen Touristen fühlten sich so mies, daß ihnen schon der Gruß schwerfiel. Hier Pause zu machen, war völlig sinnlos. Ich jedenfalls hatte nur einen Gedanken – schnell weiter, um bald ins Trockene zu kommen. Ich ließ sie also meine blauen Knie bewundern und zog davon. Das hier oder gleich in der Nähe mußte wohl der Paß sein, denn nun ging es auf einem breiten Waldweg bergab. Der Weg war matschig und kaum begehbar. Ein Fehltritt und ich ve r sank bis zu den Waden in der schwarzen, zähen Brühe. Es war darin auch nicht nasser und kälter als draußen. Nach einer Weile kam mir dann ein Geländew a gen entgegen. Bis zu den Achsen im Schlamm, quälte er sich den Berg hoch. Auffällig waren das Münchner Kennzeichen und die metallenen Küchenschrä n ke auf der Ladefläche. Erst dachte ich Böses über deutsche Autotouristen, die keinen Ort auf der Karte auslassen können, dann aber ging mir das Licht auf. Das hier war eine der Stellen, die von den organisierten Pilgertouristen bega n gen werden, und
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