Bis ans Ende der Welt (German Edition)
der Geländewagen brachte ihnen die Brotzeit. Das amtliche bayerische Pilgerbüro ließ grüßen. Deswegen der Autoverkehr, der ausgefahr e ne, matschige Weg, deswegen hingen sie da oben scheinbar sinnlos herum, o b wohl es in diesem Wetter kein Platz zum Verweilen war. Sie warteten auf die Brotzeit, für die sie bezahlt haben, und die wie bestellt, wetterbedingt mit etwas Verspätung, schon unterwegs war. Das gab Mut, die Welt ging nicht unter, wenn Verträge wie vereinbart eingehalten wurden.
Der Waldweg wurde bald wieder fester, verzweigte, der Camino folgte dem kleineren, dann wieder nur einem ausgetretenen Pfad. Überall trockene Blätter, gute schwarze Erde unter alten, knorrigen Eichen und Buchen, fast kein Unte r holz. Der Wald aber schützte vor Wind und Regen. Es rauschte noch mächtig in den Kronen. Immer wieder leerte eine von ihnen ihre Wasserlast über meinen Kopf. Aber es war offensichtlich, daß Roncesvalles nicht mehr zu weit sein konnte. War auch nicht, auch wenn sich der Weg noch eine ganze Weile hinzog. Plötzlich waren Stimmen zu hören, ich passierte ein paar Spaziergänger, und dann waren schon die ersten Mauern und Türme zu sehen. Schilder lotsten die Pilger zum Em p fang, wo bereits reger Betrieb herrschte. Eine Art Kommission tagte dort hinter einem Tisch und gab den Pilgerstempel nach einem Interview. Sogar ein Form u lar hatte man auszufüllen. Mir war alles recht, machte anfangs gar Eindruck auf mich, regnete es doch hier nicht, und der zugegebenermaßen kalte Luftzug war rein gar nichts gegen den Sturm draußen. Doch dem Prüfb e amten gefiel der en g lische Pilgerausweis nicht, den ich von John anstelle meines bereits vollgeste m pelten deutschen geschenkt bekam. Wo ich das Ding denn herhabe, wenn ich aus Deutschland komme? fragte er spitz. „Woher denn? G e schenkt, was sonst.“ Ich ließ ihn absichtlich im Zweifel, ob womöglich mit all den vielen Stempeln darin oder ganz leer oder gar geraubt und gestohlen. Wenn man gerade im R e gen die Pyrenäen zu Fuß passierte, und sei es darum, daß es nur vierzehnhundert Höhenmeter sind, muß man sich keine Idiotien gefallen la s sen. Das sah der Mann auch ein und versuchte das Gesicht zu wahren, indem er mir einen neuen Pilgerausweis zu verkaufen versuchte. Ich verweigerte. Er dac h te nach, beriet sich mit Kollegen, dann spendierte er zögernd den schönen Pilgerstempel und wünschte mir „viel Spaß“.
Damit war ich entlassen, aber wohin? Von Nässe und Kälte angetrieben abso l vierte ich die siebenundzwanzig Kilometer in nur knapp fünf Stunden. Praktisch ohne anzuhalten. Nicht einmal, um etwas zu essen. Und bei dem Wetter verging einem sogar die Lust, etwas zu trinken. So kam ich zu früh an, und die Herberge war für uns Pilger noch geschlossen. Einen warmen, trockenen Platz zum Wa r ten gab es auch nicht. Man solle ins Restaurant gehen, empfiehl das illustre Empfangkomitee. Das hielt ich für eine Abzocke, aber sei es drum. Es war i m mer noch besser, als in nassen Klammotten in diesem zügigen Stall zu hocken, sich zu langweilen und eine Lungenentzündung zu holen. Wenigstens mußte ich nicht allein essen gehen. Ich kannte mittlerweile so viele Pilger, daß sich immer eine gute Gesellschaft finden ließ. Also gingen wir zu viert essen, was schwier i ger war, als wir dachten. Der Ort war voller Touristen, die aufgeregt und laut schwatzend hin und her rannten und keine Ruhe und Kontemplation aufkommen ließen. Und bei dem miesen Wetter hatten alle dann nur ein Ziel – das Wirt s haus. Entsprechend eng ging es dort zu. Es rauschte wie in einem Bienenstock. Platz gab es freilich keinen, auch keinen, wo wir unser Gepäck und nasse Klammotten hätten loswerden können. Doch während wir unschlüssig im Ei n gang herumstanden, wurde zu unserem Glück gerade ein Tisch frei. Und sofort war ein Kellner da und eine Minute später auch das Essen. Doch kaum waren wir mit dem Essen fertig und wollten es uns bequem machen, kam der Kellner zum Abkassieren und schmiß uns kurzerhand hinaus. Andere Gäste warteten schon in der Tür. Draußen war alles naß und kalt, und bei aller Menschenliebe, das Weggehen fiel uns nicht leicht. Meine französischen Freunde hatten die N a se voll, verzichteten auf die Herberge und quartierten sich im Hotel ein. Ich d a gegen bezog einen Warteposten vor dem Herbergseingang. Dort entdeckte mich der kleine Holländer, den ich in Saint-Jean-Pied-de-Port kennenlernte, und brachte mich als „guten Freund“ gleich
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