Bis ans Ende der Welt (German Edition)
kulturhistor i schen Museums. Vieles hier stammt noch aus dem 12. Jahrhundert, die Arch i tektur ist außerordentlich. Aber auch irgendwie morbid. Ich sah ein großes R e lief vom Apostel Jakob als Matamoros, der Mauerentöter , wie er auf feistem Roß mit gezücktem Säbel fidel über die Köpfe der geschlachteten Mauren reitet. Auch auf den Pilgerstempeln wird er gerne mit Pferd, Säbel und Fahne darg e stellt. Der Legende nach habe er 844 in der Schlacht von Clavijo die Mauren niedergemacht. Als nämlich die Truppen des Königs Ramiro I. von Asturien g e rade dabei waren, den besagten Kampf zu verlieren, erschien ein Reiter auf e i nem weißen Pferd mit einer weiß-roten Kreuzfahne und hieb auf den Antichrist ein. Angeblich der Apostel persönlich. Clavijo lag nur ein paar Kilometer weiter südlich.
Apostel Jakob als Soldat, der freudig anderen die Köpfe einschlägt? Wo es doch in der Schrift heißt: Du sollst nicht töten. [59] Das konnte doch nicht wahr sein. War dann der Matamoros nur ein naiver Aberglaube? Eine motivierende Kriegspropaganda? Sein Grab wurde erst wenige Jahre zuvor im befreiten Compostela wiederentdeckt. Und diejenigen, die damals vor zwölfhundert Ja h ren der islam i schen Expansion in Europa Einhalt boten, glaubten nur allzu gern an die Mithilfe des Heiligen. War der Islam doch nie nur eine wohlfeile Bo t schaft, Gott zu preisen und seine Gebote zu halten, sondern zielte vom Anbeginn auf die Weltherrschaft hin. Mit List oder Gewalt, wie es im Koran heißt, fan a tisch, damals wie heute. Das Judentum brachte den Glauben an den einen Gott, den Schöpfer des Universums, der sich dem Menschen offenbarte und mit ihm einen Vertrag schloß, das Christentum machte die Liebe zum Mittelpunkt dieser Beziehung, der Islam brachte den Heiligen Krieg. Wie aber siegt man mit Liebe über die Gewalt? Und wieviel an Liebe können Christen denn überhaupt in den Kampf schicken? Johannes Chrisosthomos, brachte es schon vor fünfzehnhu n dert Jahren in der Auslegung des ersten Timotheusbriefes auf den Punkt: Leuc h tet wie Lichter in der dunklen Welt, sagt der Apostel. Darum hat er uns hier z u rückgelassen, daß wir andere lehren, als Sauerteig wirken, wie Engel unter Menschen wandeln, wie Erwachsene unter Kindern, wie geistl i che Menschen unter sinnlichen, damit sie davon Gewinn haben, und damit wir so Samenkörner werden und viele Früchte bringen. Man bräuchte so etwas nicht zu sagen, wenn unser Leben wir k lich leuchtete. Es bräuchte keine Belehrungen, wenn wir Taten sprechen ließen. Es gäbe keine Heiden, wenn wir wahre Chr i sten wären, wenn wir die Gebote Christi hielten, wenn wir Unrecht und Benachteiligungen ertr ü gen, wenn wir Beschimpfungen mit Segen und Böses mit Gutem vergälten. Ni e mand wäre dann so stumpf, daß er nicht alsbald die wahre Relig i on annähme, wenn wir alle so lebten. Aber dem Geld huldigen wir genau wie sie, ja noch mehr als sie. Vor dem Tod haben wir Angst wie sie, Armut fürchten wir wie sie, Krankheit ertragen wir schwerer als sie. Ehren und hohe Stellungen erstreben wir genauso wie sie, und ebenso wie sie plagt uns der Geiz. Wie sollen sie vom Glauben überzeugt werden? Durch mehr Wunderzeichen? Wunder g e schehen nicht mehr. Durch unser Verhalten? Das aber ist schlecht. Durch Li e be? Keine Spur davon ist zu sehen. Darum werden wir auch einst nicht nur über unsere Sünden, so n dern auch über den Schaden Rechenschaft ablegen müssen, den wir angerichtet haben. Kommen wir doch endlich zur Vernunft! Wachen wir auf! Geben wir ein Beispiel himmlischen Lebens auf der Erde! Unsere Heimat ist im Himmel. [60]
Leuchtet wie Licht in der dunklen Welt! Recht hat der gelehrte Johannes. Wer darf das schon von sich behaupten? Bestenfalls noch kann man das Herz in Or d nung bringen und die Hände nach dem Herrn ausbreiten. [61] In dieser Lage wäre es freilich hilfreich und gerecht gewesen, sich dafür Stärkung in einer Kirche zu holen, doch waren sie leider wieder mal alle zu. So marschierte ich durch diese kulturhistorische Schatzkammer zügig durch und verschwendete keine Pause n zeit an ein ethisches Problem, das von der Menschheit nie gelöst wurde und bis zu ihrem Untergang wohl nie wird. Doch der Gedanke blieb bei mir und folgte mir noch eine ganze Weile.
Es gab nichts anderes zu tun als zu marschieren. Also kam ich gut voran. Nur ab und zu hielt ich ein Schwätzchen mit befreundeten Pilgern oder neugierigen Einheimischen, aber auch das hielt mich nicht auf. Nach nur
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