Bis ans Ende der Welt (German Edition)
vier Interpunktionsfehler fand, ich mußte eben ganz schnell lernen, keine Werturteile abzugeben, wenn ich mit meinen Nachbarn auskommen wollte.
In dieser Nacht schlich ich mich wieder einmal hinaus, um zu sehen, wie weit der Himmel reicht, und ob der Herr daheim ist. Der Raum war ja da, der Herr aber nicht, also war alles leer und traurig, wie es in solchen Fällen eben ist. Zürnte er mir wegen meiner Kleinmut oder wegen meiner Hochmut? Oder wol l te er mich nur prüfen? Schon lange ließ er sich nicht mehr blicken. Wo sollte ich ihn suchen? Heute ging ich zufällig an einer Straßenkirche vorbei, wo gerade die Mittagsmesse gelesen wurde. Die Kirche war völlig schmucklos und winzig klein, und es saßen lauter alte, schwarzgekleidete Frauen drin. Ich war ve r schwitzt, müde und durstig, verstand kaum etwas von dem Dialekt und kam mir reichlich fremd und deplaziert vor. Aber ich blieb, bis uns der Pfarrer mit Gottes Segen in die Welt entließ.
Viana, km 2196
Der neue Tag begann zur Abwechslung mit einem ausgezeichneten Frühstück. Das entschädigte für das dürftige Abendessen. Ein gutes Frühstück bekam man nicht sehr oft, insofern war es ein Ereignis. In der perfekten Herberge am Vortag dürfte man in der Frühe nicht einmal ein Glas Wasser kochen, statt dessen stand ein bunter, teuerer Kaffeeautomat im Flur. Automaten waren populär, standen überall, sogar Pizza konnte man sich da holen. Ansonsten gab es wenig Intere s santes zu entdecken. Unterhaltungswert hatten nur die Mitmenschen. Les Fous etwa hatten schwer zu leiden, weil man sie nicht vor sechs aus dem Haus lies. Wieder einmal. Eigentlich durfte man vor sechs Uhr gar nicht aufstehen, um die Langschläfer nicht zu stören. Das allerdings lobte ich mir, da nicht nur meine französischen Freunde zum nächtlichen Aufbruch neigten, sondern inzwischen auch viele andere. Wegen der Hitze am Tag und der Sorge, keinen Schlafplatz zu bekommen, war das Frühaufstehen recht populär. Hier konnte man nicht wie in Frankreich einfach anrufen und reservieren. Ausweichmöglichkeiten wie H o tels oder Privatzimmer gab es kaum. Die ständig wachsende Nachfrage übe r stieg einfach das Angebot. Wer zu spät kam, bekam kein Bett mehr und hatte die nächsten zehn, zwanzig Kilometer weiterzugehen, wozu man in der Regel keine Kraft mehr hatte. Und dort angekommen, war dann auch alles bereits belegt. Wem es einmal passierte, der achtete das nächste Mal sehr darauf, rechtzeitig da zu sein, und noch bevor die Herbergen aufgemacht haben, was nicht selten erst um sechzehn Uhr passierte, hatten müde, verschwitzte Pilger schon den Eingang in Trauben belagert. Damit konnten die Spanier gut leben, und die Pilger hatten keine andere Wahl. Einmal, statt mit den anderen in der Hitze vor dem Albergo auf das Ende der Siesta zu warten, schlich ich mich in die Dorfkneipe ein, die zugleich auch das einzige Geschäft vor Ort war. Der Laden war freilich auch zu, doch hörte ich viele laute Stimmen drinnen und fand nach kurzer Suche eine Hintertür, durch die ich hinein gelangte. Da saßen die meisten oder gar alle Dorfbewohner in fröhlicher Eintracht, tranken, ratschten und spielten Karten. Das hier war keine Siesta , sondern eine Fiesta . Es herrschte Hochstimmung. Bis dahin dachte ich stets in meiner Einfalt, der Südländer hielte nach dem Mittag s essen ein Schläfchen auf dem Sofa. Da schwamm wieder ein Vorurteil davon.
Seltsamerweise traf ich heute kaum andere Pilger. Dieser erste Abschnitt des Camino Francés ist zwar noch deutlich weniger frequentiert als der nach Burgos oder gar León, wohin man von überall her bequem fliegen kann. Doch heute war ich praktisch allein. Was mir nur recht war. Die weite Landschaft mit sanften Tälern und Bergen am Horizont stand wie ein romantisches Bühnenbild da. Die aufgehende Sonne warf einen überlangen rosa Schatten vor mich hin. Ich hatte ihm nur zu folgen. Ich konnte mein eigenes Tempo gehen, der Stille zuhören, an jedem Kreuz halten und den Herrn loben. Die Wege waren breit und frei von Schotter, Flußkiesel und Bauabfall. Überall in Europa schütten Bauern sonst a l les Mögliche auf die Wege, um mit den tonnenschweren Schleppern nicht zu versinken. Es lief sich gut über die nackte, rotbraune Erde, auch wenn der Fü h rer dramatisch warnte, auf den nächsten zwölf Kilometer bis Los Arcos gäbe es kein Wasser. Päh! Bis da bekam ich doch noch gar keinen Durst! Der Weg durch Los Arcos und Torres del Rio ähnelte dem Besuch eines
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