Bis ans Ende der Welt (German Edition)
erwähnt. Die hier im Jahre 1058 errichtete Pilgerherberge war eine der ersten auf dem Jakobsweg überhaupt. Die romanische Klosterki r che stammt aus dem 12. Jahrhundert, der tolle Kreuzgang aus dem 16. Jahrhu n dert. Von 1569 bis 1824 war hier sogar eine Universität untergebracht. Schade, daß das Kloster 1985 von den noch übriggebliebenen Mönchen aufgegeben werden mußte. Nur der Hausmeister blieb. Doch gibt es auch moderne Tour i stenattraktionen. Installierte doch das örtliche Weingut einen freien Weinbru n nen, hier Fuente del vino genannt, an dem sich der Pilger unter der Aufsicht e i ner Webkamera moderat stärken sollte. Moderat, weil die Kell e rei nur siebzig Liter Wein am Tag spendiert. Das sieht dann wohl so aus, daß die Erstanköm m linge trinken, was der Hals hält, und alle mitgebrachten Behälter füllen, die Nachzügler dann der Kamera die trockene Zunge zeigen. Das war auch meine Rolle, wobei einem der zahlreichen Touristen vor Ort ein gutes Foto gelang, wie ich mit ausgestreckter Hand vergeblich auf einen Tropfen aus dem Weinhahn harre. Es gab nämlich gleich um die Ecke einen gut frequentierten Campin g platz, und es wimmelte geradezu vor Menschen. Und daß ich hier c o ram publico von einem Weinhahn verhöhnt wurde, war noch nicht genug. Ich sollte vom dem kalten Joghurt und warmen Brot einen Durchfall bekommen, und es gab hier kein stilles Plätzchen, keine Mauer und keinen Busch, wo ich die peinliche Angelegenheit hätte mit Anstand regeln können.
Philippe traf ich weder hier noch später in Villamayor, dem Tagesziel . Weil es noch so früh war, marschierte er noch eine Etappe weiter, und ich sah ihn nie wieder. Vielleicht war er auch froh, mich loszuwerden, mühte er sich doch seit zwei Tagen mit diesem höllischen Tempo sinnlos ab. Als Pilger braucht man manchmal mehr Luft zu atmen. Schließlich geht es auch um spirituelle Erfa h rung. Und die erfordert eine gewisse Privatsphäre. Hier aber war man nie allein. Nicht, wenn man auf die Toilette mußte, nicht einmal in der Kirche, denn die waren ja zu. Man hatte tags und nachts tausend teutonischen Recken um sich, wenn man nicht gerade auf dem Sprung war, um sich vor der schwätzenden Fahrradkavallerie der Südländer zu retten. Ich machte den Fehler, einem an sich netten und sympathischen Deutschen, von meiner Beobachtung zu erzählen, die Pilger hier in Spanien seien ganz anders als die in Frankreich. Er wies mich schroff zurecht. Warum sollten die Leute denn nicht anders sein dürfen, er fände sie „völlig in Ordnung“. Ein modernes, globalisiertes, weltoffenes Volk auf dem Weg von Toleranz zu Wertegleichheit zu Wertebeliebigkeit. Und offenbar sehr empfindlich gegen Kritik, die einen selbst betraf. Somit blieb man zumindest da bei der Tradition: Maul und Schritt halten! Dabei ging es mir bei meiner Beme r kung nicht einmal darum, ob man in Ordnung oder in Unordnung sei, dazu kam ich ja gar nicht, ich erlaubte mir nur auszusprechen, was ich wahrnahm und i n teressant fand. Die französische Schonzeit ging hier wohl zu Ende. Jetzt war ich wieder der unbequeme Außenseiter. Womöglich auch noch unpraktisch vera n lagt. Und doch offenbar nicht der einzige, dem was auffiel. Es lästerte nämlich die Herbergswirtin in Villamayor , die Germanen würden immer das kleine, mu f fige Zimmer nehmen, die romanischen Völker dann das große, helle, luftige. Da müsse doch was dran sein. Übermütig geworden ging ich ins deutsche Lager r e cherchieren. Offiziell, um den Wein aus dem Fuente del vino zu probieren. Den hatten nämlich die meisten Deutschen noch reichlich vorrätig. Der Wein schmeckte nach Essig, doch ich erfuhr, das kleinere Schlafzimmer sei deshalb praktisch, da es näher an der Toilette liegt. Ein Akt der praktischen Vernunft war es also, und ich hatte großen Spaß, es brühwarm der Wirtin zu erzählen, die daran hart zu kauen hatte. Doch sie verlor meine zarte Sympathie gleich wieder, als das Abendessen kam. Das Pilgermenü nämlich, das hier serviert wurde, war das schlechteste meiner Pilgerschaft. Und der Wein kam bestimmt aus dem Fuente, so sauer schmeckte er. Das hatten die Pfarrherbergen so an sich. Pilger hatten sich in Demut zu üben. Der Führer jedoch pries die „günstigen und guten Mahlzeiten“ dieser „schönen und ausgezeichneten Herberge“ hoch, und ein deutscher Pilger schrieb ins Gästebuch: “Ich habe ja ganz vergessen, den hervo r ragenden Wein zu loben.“ Schwamm drüber, daß ich in dem ganzen Text
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