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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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seinem Geschmack, andere Länder, andere Sitten, und jeder soll doch auf seine Art glücklich werden. Damit, einem bescheidenen Brocken Denglisch und etwas Geld komen sie überall in der Welt durch, ohne viel denken zu müssen. Hat man kein Brot, so soll man doch Kuchen essen, lebt man armselig in der Öde, so möchte man es vermutlich nicht anders, sind die Wege schlecht, so sollte man den Bus nehmen. Menschen ohne sichtbare Werte, ohne sichtbare Überzeugung, ohne Mitleid und Gnade, scheinbar mit allem zufrieden. Moderne, tolerante Großstadtmenschen. Bis man ihre Kreise stört. Dann holen sie die Büttelkappe aus der Tasche und lehren Zucht und Ordnung. „Binden Sie doch ihren Hund fest, stellen Sie sich hinten an, das hätten Sie sich früher überlegen sollen, sehen Sie nicht, daß Sie stören?“ Nein, meine Herren, ich nehme doch lieber den K u chen, wenn Sie erlauben, und fliehe euch.
    Ich lief schweren Schrittes, schweren Herzens, konnte spüren, es lag kein Schwung, keine Freude, kein Segen darin. Trotzdem kam ich weiter. Trotz Wunde, trotz Kleinmut, trotz Erkältung. Ich versuchte mich mit dem Bild zu tr ö sten, wie die Bundeskanzlerin Merkel dem Präsidenten Busch auf sein Jammern, die Iraner würden ja eine Atombombe bauen, keck und lässig mit den Schultern zuckt, den Mund spitzt und charmant antwortet: „Jeder nach seinem Geschmack. Andere Länder, andere Sitten.“ Es wollte mir aber nicht so recht gelingen. Also ließ ich Politik Politik sein, zauberte mir im Kopf einen schönen Waldrand mit Lerchen, Birken und einem grasigen Tal davor und ließ mich dort nieder. Den armen Körper ließ ich derweil weitermarschieren, sollte er sehen, wie er zurecht kommt. Ein lästiges, undankbares Ding war er, verlangte ewige Aufmerksamkeit und machte nur Umstände. Habe ich ihn denn nicht jeden Tag auf das Sorgfä l tigste gewaschen und gewienert, mir darum nicht ständig Sorgen gemacht? I m merhin brachte er mich auf diese Weise bis zu der berühmten Brücke des Hospital de Orbigo , wo er sich vor der romantischen Kulisse dieses erstaunl i chen Bauwerks ausruhen durfte. Diese römische Brücke, lang, gewunden und gebogen, war einst der Tatort des sogenannten Paso Hornoso , des ehrenvollen Ganges, sprich einer ritterlichen Schlägerei zum Zwecke der Ehre und der B e reicherung. Die gängige Legende besagt, an dieser Stelle hätte ein gewisser Caballero Suero de Quiñones aus Liebe zu einer gewissen Dame geschworen, rund um den Jakobstag des Jahres 1434 dreihundert Lanzen, sprich Gegner zu brechen. Mit amtlicher Erlaubnis habe er sich mit zehn Kampfgefährten an diese Brücke begeben, die alle Pilger passieren müssen, und die vorbeiziehenden Edelleute zum ritterlichen Zweikampf gefordert. Dem konnten sie sich aufgrund des vorherrschenden Ehrenkodex nicht entziehen. Nach Abschluß des Turniers, bei dem nur ein Edelmann zu Tode gekommen sein soll, seien Herausforderer und Gegner gemeinsam nach Santiago zum Schrein des Apostels gezogen, wo der Held seine Fessel - ein Strumpfband der bewußten Dame - dem Kathedral e schatz stiftete. Vor so viel Edelmut verbeugt sich sogar Cervantes’ Don Quijote. Andere Zungen aber erzählen, der Mann habe ziemliche Schulden und legale Probleme ausgerechnet wegen Wegelagerei gehabt und zu dem besagten Termin eine erhebliche Summe Lösegeld dem Richter zu bringen, wenn er nicht ins G e fängnis wollte. Außerdem konnte er damit rechnen, daß wallfahrende Edelleute keine schweren Waffen bei sich tragen oder besonders kriegerisch sein würden. Ein Schmarren insgesamt, verdreht und erlogen. Mir solchen Räuberpistolen fü t tern die Mächtigen seit eh und je das Volk, damit es nicht auf eigene, sprich dumme Gedanken kommt. Damals wie heute. Immer gibt es etwas zu verteid i gen, sei es die Ehre einer strump f bandstiftenden Dame an einer Brücke oder der wahre Glaube in Jerusalem oder die Demokratie in Afghanistan oder sonst was. Immer gibt es etwas, was uns bedroht und alle Greuel rechtfertigt. Und das Volk scharrt gleich mit den Füßen und spielt freudig mit, denn was ist denn schöner, als sich für eine gerechte S a che hinzugeben. Und wer nicht mitmachen möchte, ist Spaßverderber und wird plattgemacht.
    Bald trieb es mich weiter über die Brücke, unter der sich im Frühjahr im lehm i gen Boden das Schmelzwasser aus den umliegenden Bergen sammelt, und die deshalb so lang und mächtig und romantisch schön ausfiel. Ich hatte nicht mehr weit zu gehen. Astorga , im Mittelalter der

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