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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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traurig, daß er sich wieder auf den Weg machte. Das sollte ihn ablenken. Ich blieb, und mit mir noch zwei Holländer mit Durchfall. Bald tauchten noch andere Kranke auf. Ein junges Mädchen aus Magdeburg mit e i nem ernsten Knieproblem, der Engeländer mit dem zerschnittenen Gesicht, ein anderer, der stürzte und sich das Schlüsselbein brach. Doch aufgeben wollte keiner. Wie ich. So saß ich fast den ganzen Tag im Hof auf der Bank, las und schrieb und ließ die Wunde an der Sonne trocknen. Daß ich nicht gehen mußte und hier einfach so, ganz ohne Not bequem sitzen konnte, war nach dem langen Marsch gewohnheitsbedürftig. Immer wieder verspürte ich den Drang aufz u springen, schnell den Rucksack zu packen und loszugehen, sonst würde ich meine Tagesetappe nicht schaffen. Es war ein Zeichen, daß ich Abstand gewi n nen muß. Hier, auf dem Camino Francés , war mein Weg zu sehr vom Willen bestimmt. Hart wie der Kiesel. Das war gewiß nötig, denn der Weg selbst war hart. Und mit dem kaputten Fuß zuletzt noch härter. Aber es war zu viel Willen dabei. Es fehlte die Demut, aus der die Freude und die Geborgenheit im Herrn erwächst. Nur ab und zu flackerte diese Freude auf, wenn der Herr vorbei ging. Wie ein Leuchtfeuer, um mir die Richtung zu weisen. Ich mußte loslassen. Nicht nur von dem Alltag und den Gewohnheiten zu Hause, dem bisherigen Leben, das die Dichtergruppe damals in Le Puy so kunstvoll konferierte, sondern auch von den Gewohnheiten und den Verkrustungen der Pilgerschaft. Der Körper war ein Tyrann. Für seine Dienste diktierte er sich einen hohen Preis. Immerhin tat er was dafür. Aber der meist leerlaufende Verstand intrigierte ständig im Hinte r grund, machte den Körper rebellisch, programmierte neue Routinen, schuf neue Abhängigkeiten, neue Begehrlichkeiten, lehnte das und jenes ab, nichts war ihm gut genug. Und wenn er von all dem genug hatte, schaltete er das Licht aus und ging schlafen, so daß man die geringsten intellektuellen Aufgaben nicht mehr lösen konnte, ohne zuvor einen Antrag in doppelter Ausfertigung zu stellen. So konnte man unerklärlicherweise Bäume und Straßenschilder überrennen, über den Schluchtrand laufen, vom Weg abkommen oder auf dem gleichen Wege, den man gerade gekommen ist, zurücklaufen. Dagegen gab es nur eine Abhilfe, stillhalten und nichts begehren. Hart wie der Kiesel reichte allein nicht aus, man mußte auch noch elastisch genug sein, um bei zu viel Belastung nicht zu zerbr e chen. Wie ein edles japanisches Katana-Schwert, das auch den Flußkiesel spa l tet.
    In dieser schönen Stadt fiel es mir doppelt schwer, im Hof sitzenzubleiben und darauf zu warten, bis sich gesunde Hautzellen über das rohe Fleisch ausbreiten. Ich redete ihnen zu, sich mehr zu beeilen, es gäbe nur diesen einen Tag für den Auftrag. Schließlich muß man die Arbeiter motivieren und ihnen das Gefühl g e ben, daß ihre Mühe nicht umsonst ist und einem guten Zweck dient. Nun sah die Wunde auch schon viel besser aus, die violette Färbung verschwand, und Leute blieben nicht automatisch stehen, um bedenklich mit dem Kopf zu wackeln. Am Nachmittag riskierte ich - in Sandalen und mit gut eingepacktem Fuß - sogar noch einen Gang zur Kathedrale. Sie sei die schönste in Spanien, behauptete der Cicerone. Jedenfalls hundertprozentig so, wie man sich eine Kathedrale vo r stellt. Es ist eine Kathedrale par excellence . Sie wurde im 13. Jahrhundert im Stil der französischen Gotik errichtet, hat über zweihundert Fenster von 1800 Quadermetern Fläche. Und mögen die Basilika San Isidoro und das Pantheon der Könige kulturhistorisch wichtiger und mehr als zweihundert Jahre älter sein, sie sind bestimmt nicht schöner und eindrucksvoller. Nichts schlägt die Kath e drale, auch nicht das erstaunliche Renaissancekloster San Marco aus dem 16. Jahrhundert, aus dem man jetzt ein Luxushotel machte. So saß ich vor dem Go t teshaus und sah einfach hin. Nach einer Weile kam der Herr vorbei und setzte sich hinzu. Dann aber wanderte er über den Platz und gesellte sich zu manchen der Passanten, von denen es hier heute nicht viele gab. Meist waren es Einhe i mische, die Alltägliches vorhatten. Eine Oma mit Enkelkind, ein Geschäftsmann mit Aktentasche, ein Stadtarbeiter mit Besen und Schaufel. Nur ein paar Tour i sten, alle ohne Hast und Ziel, mit den Digitalkameras auf die Türme zielend. Die Kathedrale verband uns, sie war unsere Mitte. Immer, wenn der Herr zu einem der Passanten kam, veränderte sich

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