Bis ans Ende der Welt (German Edition)
schwungvoll ihr Vehikel und wollte schon auf die Schnellstraße, als sie meine Kleinigkeit bemerkte. So kam sie, eine Drecksfahne hinter sich ziehend, zurück, und schrie mir aus dem Fenster Unverständliches zu, was ich zunächst für einen Gruß hielt und mit einem freundlichen Wink mit dem Pilgerstab quittierte. Der Mann aber brüllte weiter aus dem Fenster, und es wurde offensichtlich, daß d a mit irgendeine Drohung verbunden war, vielleicht wegen meines Sitzens an der Treppe oder eines anderen, mir unbekannten furchtbaren Deliktes. Da kam der Zorn in mir hoch, wegen der Traurigkeit des Ortes und allen anderen Umständen auch, weil hier doch alles so mies, minderwertig und häßlich war, und ich zeigte dem Büttel den Stinkerfinger und wünschte, er möge doch den Mut haben, z u rückzukommen und sich von mir eine Tracht Prügel zu holen. Armes, verfluc h tes Land, wo man sich ständig in acht nehmen muß, auch wenn man nichts B ö ses im Schilde führt. Langsam nagte die ständige Polizeipräsenz an meinem Gemüt. Die meisten davon, denke ich, gab es in Burgos . Mindestens fünf ve r schiedene Polizeiarten zählte ich, überall zahlreich herumlungernd. Das Land schien geradezu in Angst und Schrecken zu versinken. Vor allem hier, wo es wohl kaum noch was zu stehlen gäbe, stand kaum ein Haus, ohne an Gitter, Zaun und Tür aufwendig vor der Alarmanlage zu warnen.
Ich fand Trost darin, daß ich die ganze Tagesstrecke in Sandalen laufen konnte, die Wunde nicht schlimmer wurde und die Herberge fast leer war. Es war ein verwilderter Garten dabei, in dem man den Rest des Tages verbummeln konnte. Wäre das Wetter nicht kalt und wechselhaft, wäre es noch besser gewesen, aber nach so langer Zeit ein richtiges, sattes Grün um sich zu sehen, war schon etwas. Es standen dort alte, verkrüppelte Apfelbäume im hohen Gras, die Äpfel waren schon rot und reif. Es war offensichtlich, daß der Sommer nun rasch dem Ende zuging. Wo waren denn die Hitzetage, wenn die zitternd heiße Luft wie eine Filzdecke über den Feldern lag, und alles den Atem anhielt, um den Himmel nicht einstürzen zu lassen. Auf und davon war der Hochsommer, wie mit dem Zauberstab weggefegt. Am Abend war das Gras feucht, und es war auch im Haus schon recht kalt und klamm. Da war man für die Tasse Kamillentee zum Frühstück gleich doppelt dankbar.
Astorga , km 2587
Es sollte auch am nächsten Tag kein leichter Weg werden. Die ersten sieben K i lometer lief ich noch geduldig entlang der Straße und litt an Häßlichkeit, Staub und Lärm. Dann hielt ich es nicht mehr aus und nahm die nächste Alternati v strecke, die freilich wieder voller Kiesel war. Eine richtige Stolperpiste und ein Risiko für meinen kranken Fuß. Das es hier so häufig Wegvarianten gab, war ein sicheres Zeichen, daß auch andere Zeitgenossen meine Gefühle teilten. Ein geistig reger Mensch kann einfach nicht lange neben der Schnellstraße gehen. Eine Schnellstraße auf den Camino zu bauen, war ein echt spanischer Reinfall. Eines hatte dann zu weichen, entweder der Camino oder die Straße. Daß man beides nebeneinander beließ, so vermutlich nur deshalb, um nicht den armen Dörfern das kleine Einkommen aus dem Pilgertourismus zu nehmen. Es gab ja sonst nichts außer der Landwirtschaft, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Autos, Laster, Züge rasten ohne anzuhalten vorbei, hinterließen Dreck und Lärm. Nur die Pilger mußten rasten und dafür in die Tasche langen. Wenn auch nicht sehr tief. Alles war einfach und dementsprechend billig. Die letzte Herbe r ge kostete nur drei Euro, für sechs Euro hätte man gar ein Einzelzimmer haben können, das Abendessen kam auf acht Euro. Davon konnte man beim besten Willen nicht reich werden. Und dies war wohl die lukrativste Unternehmung vor Ort. Ich überlegte, ob ich den Mut hätte, hier das Leben zu verbringen. Ich kön n te wohl als Leuchtturmwächter, Mönch oder Bergbauer ein erfülltes Leben fü h ren, aber hier? Wohl kaum. Es gab auch nicht viele Menschen zu sehen, Kinder und Jugendliche fast gar nicht. Hier beeilte man sich, rechtzeitig wegzukommen. Bis auf die zwei betont zufriedenen Deutschen, die ich gerade traf. Alles her r lich, alles super, alles Camino. Wie üblich. Sagt man was Kritisches, ziehen sie sich gleich zurück. Wie eine Schnecke in ihr Häuschen. Wozu denn streiten? Bietet man ihnen was an, nehmen sie es nicht, sie haben ja Eigenes. Das sie fre i lich mit niemanden teilen möchten. Auch nichts Persönliches. Jeder nach
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