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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Ort mit den meisten Pilgerunterkün f ten auf dem Camino , wartete schon auf meine kranke, geschundene Hülle, und sie wiederum sehnte sich nach dem Bett dort. Über der Stadt, am steinernen Wegkreuz, rastete ich noch einmal. Es ist eine denkwürdige Stelle, an der man nicht so einfach vorbeigehen kann, ohne sich auf den Herrn zu besinnen. Es ist ein Ort, wie er ihm gefällt, und wo man ihn meist auch finden kann. Hier wie mit einem Schlag endet Meseta, die von allen Pilgern gefürchtete kastilische Hochebene. Im tiefen Tal liegt die Stadt und dahinter erhebt sich eine steile G e birgswand, fünfzehnhundert Meter hoch und schräg wie eine Mauer. Mit Asto r ga zu Füßen saß ich lange unter dem uralten Wegkreuz und meditierte. Das G e birge war mir eine willkommene Abwechslung, der Körper grollte, wagte aber nicht zu widersprechen, wenn er nur endlich wieder ruhen kann, was ich ve r sprach und hielt. Nur keine Rundgänge und Kräfte sparen, hieß die Devise. O b wohl die Stadt geradezu toll und aufregend ist, mit einer Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert und einem neogotischen Bischofspalais aus der Hand des berüh m ten spanischen Architekten Gaudi. Beide würden leicht einer Hauptstadt die E h re machen, werden aber der Tatsache gerecht, daß Astorga schon im vierten Jahrhundert ein Bischofsitz war. In der Römerzeit war die Asturica Augusta ein Bollwerk auf dem Weg zu den Goldminen von Carrucedo , im Mittelalter ein Teil der Verteidigung von Asturien und Galicien. Dazwischen herrschten Wes t goten und Mauren, deren Gene in der Bevölkerung noch sichtbar sind. Es ist keine große Stadt, aber gewiß eine bedeutende. Statt sie gründlich zu besicht i gen und ihre Schönheiten zu entdecken, hockte ich wie versprochen auf der Te r rasse der Herberge und sah einer Deutschen zu, wie sie dort auf den dreckigen, eiskaltem Bodenfließen Yoga und Fußmassage macht. Ich hätte sie gerne wa r nen wollen, so käme man leicht zu Hämorriden, aber ich widerstand der Vers u chung. Es hätte mir nur eine Abfuhr eingebracht. Und was machte eine Kranke mehr denn aus? Die große Zahl der Herbergen im Mittelalter, angeblich mehr als ein Dutzend, ging auch darauf zurück, weil hier, kurz vor dem ersehnten Ziel, viele Pilger bereits zu krank und kaputt waren, um noch über die Berge zu kommen. Den Berichten nach seien hier im Laufe der Zeit auch etliche von i h nen gestorben und ihr Bares der Herbergsbruderschaft vermacht. Von der Te r rasse aus konnte ich den Camino vom steinernen Kreuz am Rande der Meseta bis zu der Stelle, wo er im Westen wieder im Gebirge verschwindet, übersehen. Einst pilgerte darauf auch der heilige Franz von Assisi. Es war irgendwann im Jahre 1212 oder 1213, krank schon seit Burgos , wo er einen Monat niederlag, ebenso wie am Ende der Reise in Santiago . Damit war ich mit meinen B e schwerden in guter Gesellschaft. Das Kranksein war hier die Norm und der he i ße Tee mit Honig gegen die Erkältung aus der Hand der zwei sympathischen Praktikantinnen die Tradition.
Rabanal del Camino, km 2607
    „Fahrt der Demut“ nannte der heilige Franziskus seine spanische Pilgerschaft. Ich dachte darüber nach, als ich am nächsten Morgen - recht spät wie üblich - die Herberge verließ. Allmählich ging mir ein Licht auf. Alles Miserable, was ich hier in Spanien erlebte, und das war inzwischen ein gescheiter Haufen, lehrte es mich nicht die Demut? Der Weg durch Bayern war eine sanfte, erhebende Freude, der durch die Schweiz zwar eine kaltnasse Plackerei, doch auch Ruhe und Vertiefung, schließlich kam Frankreich mit einem Wasserfall an Gefühlen, daß einem davon im Kopf schwindlig wurde. Spanien aber war die reinste Schmach. Anfangs verstand ich es nicht, rebellierte, schlug um mich und haderte mit dem Herrn. Der mich dann auch meinem Groll überließ und mich nicht mehr tröstete. Kein Wunder. Mit der Demut hatte ich es eben nicht. Ich dachte an meinen Freund Martin und unser Abschiedsgespräch. Ich mußte mich wieder darauf besinnen, warum ich hier bin. Es reichte nicht zu behaupten, ich habe wegen eines vorschnellen Gelübdes nur die Pilgerreise zu absolvieren und hätte das Recht, das Land und die Menschen um mich herum zu verachten. Auch wenn sie mir nicht gefielen, ja sogar dann, wenn ich mit meinen Vorbehalten völlig recht hätte, ich hatte sie in Liebe zu ertragen. Bleibt niemand etwas schu l dig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. [72] Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich

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