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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. [73] Ich tat all das. Ich ereiferte mich, ich prahlte, ich blähte mich auf. Gerade noch ein bißchen, und ich würde platzen. Nein, mir fehlte es nicht nur an Demut, mir fehlte es vor allem an der Liebe.
    Es war eine bittere Erkenntnis, denn ich wähnte mich ja in der Gunst des Herrn. Wäre er sonst vielleicht mit mir mitgelaufen, hätte er mich vielleicht geführt, mich mit allem Nötigen versorgt, mich behütet? Ein guter Freund, auf den ich immer und überall zählen konnte. Er ließ mich nie im Stich, wie banal auch meine Wünsche sein mochten. Es schien ihm gar Spaß zu machen, mit mir zu wandeln. Als ob wir sowieso den gleichen Weg hätten. Und wo war er jetzt? Ich blieb mitten auf dem Weg stehen und sah mich um. Vor mir erhob sich in giga n tischen Stufen das Gebirge. Montes de León nannte man es. Berge des Löwen. Von da kam mir die lehmige Piste entgegen und lief weiter talwärts zu den Tü r men und Dächern von Astorga und dann wieder hoch die Schlucht bis zum ste i nernen Wegkreuz von Santo Toribio am Rande der Meseta , wo ich gestern den Herrn traf. Darüber trübte sich der Himmel in schwarzen Schauern. Der Wind stemmte sich umsonst gegen die Wolkenmauer und ließ seine Wut darüber an den Regenponchos der Pilger aus, die lustlos, mit eingezogenem Kopf dahin z o gen. Immerhin waren es heute mehr als sonst. Alles sah kalt, weit und desolat aus, genauso wie ich mich fühlte. Sollte ich mich nicht ändern können, so kon n te ich genauso gut umkehren, ja gar auf dieser nämlichen Stelle zur Säule ersta r ren, um anderen als Wegzeichen zu dienen. Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist! Verwirf mich nicht von deinem A n gesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir! Mach mich wieder froh mit deinem Heil; mit einem willigen Geist rüste mich aus! [74] Es sah nicht so aus, als ob mich der Herr hörte, und zerknirscht und entsetzt, wie ich war, erwartete ich jetzt auch keine Wunder von ihm. Aber es war immerhin ein Anfang.
    Ich setzte mich wieder in Bewegung. Auf den Berghängen gab es noch verei n zelt helle Sonnenflecken, die mit dem fast schwarzen Himmel gut kontrastierten und romantischen Träumen freien Lauf ließen. Doch kam die Kaltfront immer näher, und ich hatte genug Berg- und Wettererfahrung, um zu wissen, was sie in einem solchen Gebirge anrichten kann. Der Wind wuchs sich langsam zum mächtigen Sturm auf und war inzwischen so heftig, daß die Windräder an den Bergkämmen abschalten und die Radfahrer von den Drahteseln absteigen mu ß ten. Er kam von der Seite, und man konnte sich richtig dagegen lehnen, ohne gleich hinzufallen. Auch die Temperatur sank weiter rapide. Ich rechnete mir aus, auf jeden Fall noch die erste Etappe von zehn Kilometern zu schaffen, eve n tuell noch die zweite von gleicher Länge. Mehr würde ich mir an diesem Tag nicht gönnen können. Keineswegs wollte ich mehr als zehn Kilometer im Regen gehen. Die alte Erkältung wurde ich noch nicht ganz los, hier nochmals richtig naß zu werden, hätte auch eine Lungenentzündung bedeuten können. E i gentlich paßte das Wetter zur Landschaft. Eine karge, unfruchtbare Gegend mit eigenartigen Menschen, kleinwüchsig, verschrumpelt, braunhäutig. Angeblich Reste von Mauren und Goten aus dem Frühmittelalter, Magaratos genannt . Ihre Dörfer wirkten mehr als armselig, die gedrungenen Häuser aus grauem Stein schief aufgeschichtet, mit allen möglichen Materialien geflickt und gedeckt, die Fenster wie Löcher klein. Alles mehr oder weniger wahllos hingestellt, mit einer klobigen Straße dazwischen, schmucklos und düster in dem wetterbedingten Halbdunkel. Es hätte genauso gut Tibet sein können.
    Und meine Berechnung war richtig, nach zwanzig Kilometern war’s aus. Doch kam ich heute trotz Weg und Wetter recht zügig voran. Die kaputte Zehe machte keine großen Umstände mehr, sah auch sonst recht passabel aus, das heißt, es war kein Fleisch mehr zu sehen, und die Wunde blieb trocken. Die letzte halbe Stunde marschierte ich im Regen, und nun machte ich unter einem mächtigen Baum vor dem Kloster in Rabanal Mittagspause. Die anliegende Herberge war, wie um diese Zeit meist üblich, noch geschlossen. Ab und zu schlich sich ein Pilger vorbei, aber der Platz lag bißchen abseits des Camino, und nur wenige verirrten sich hierher. Niemand wollte hier mit mir verweilen. Der Regen pra s selte in die Baumkrone, wusch die braunen

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