Bis ans Ende der Welt (German Edition)
im Rucksack den genialen, federleichten Titankochbecher für E x tremalpinisten, in dem ich für mich und Simon einen Kamillentee kochen kon n te. In zwei Schichten, weil er klein war, was Simon ungeduldig mit den Hufen scharren ließ. Kaum trank er den Tee, schon war er weg. Das Haus war ohnehin schon leer, alle Pilger waren längst über alle Berge. Oder im Restaurant. Mir war es nicht unrecht, als ich aufbrach. Ich genoß den Weg durch das vernebelte, patschnasse Barbadelo. Dunkle, aus gebrochenen Stein gefügte Mauern. Alles zeitlos alt und wie verlassen. Glatt verpaßte ich die Abzweigung und wäre wer weiß, wo gelandet, hätte mich der Herr nicht wieder einmal zurückgerufen und auf den rechten Weg gebracht. Man war hier nicht mehr auf der Messeta, wo es meist nur geradeaus ging, hier mußte man wieder wie ein Haase Hacken schl a gen und sich gut orientieren. Für Normalsterbliche freilich reichten die kru m men gelben Pfeile vollkommen, aber solche wie ich, mit den Gedanken stets i r gendwo in den Wolken, mußten schon an der Hand geführt werden. So ging es eine ganze Zeit auf kleinen Asphaltstraßen weiter, dann immer häufiger auch auf breiten sandigen Wegen. Allerorts gab es alte Wegsteine, welche die rasch schmelzende Entfernung nach Santiago angaben. Das Wetter wollte und wollte nicht besser werden. Zwar hörte der Regen auf, aber es blieb naß und ungemü t lich. Ich marschierte recht forsch, um mich warm zu halten, holte aber niema n den ein. Zu sehen gab es nicht viel, der verwunschene Wald war längst zu Ende, hier gab es nur nasses Gestrüpp. So ging ich in Gedanken und zählte mangels besserer Beschäftigung die Fußabdrücke meiner Vorgänger im nassen Boden. Es waren konstant fünfzehn Schuhsohlen. Nur an den vielen Stellen, wo der Cam i no die Nationalstraße berührte, wurden es plötzlich mehr. Dort sah ich auch i m mer wieder Leute rasten oder Rucksäcke schultern. Ich grüßte, wie ich jeden u n terwegs grüßte, sprach aber mit niemand. Es war ziemlich fade. Schmucke Ki r chenbauten, an denen es in Spanien ja nicht mangelt, fehlen auf dem galicischen Camino. Entzugstherapie für die Sinne. So kurz vor dem Ziel soll sich der Pilger in Demut auf die Herrlichkeit seiner Ankunft und die Schätze der Jakobsstadt vorbereiten. Ich jedoch vermißte die verschlossenen Kirchen nicht besonders und zog geduldig meine Bahn. Dabei gingen mir meist dumme Gedanken durch den Kopf. So etwa, wie gefährlich es denn eigentlich sei, einen schweren, bre n nenden Schwefelfaß durch eine Kirche voller Menschen zu schwingen. Gemeint war das 1,60 Meter große, zig Kilo schwere Weihrauchgefäß, Butafumeiro g e nannt, das in Santiago an einem 30 Meter langem Seil von der Kuppel der K a thedrale hängt und nach dem Hochamt bis hoch unter die Decke geschwungen wird. Ich glaubte, ähnliches schon einmal in Palma de Mallorca gesehen zu h a ben. Der glühende Eimer schoß damals durch das gesamte Kirchenschiff wie e i ne Brandbombe aus einem antiken Katapult, was alle Touristen schwer staunen ließ. In Santiago ist es auch schon mehrmals zu Unfällen gekommen. Katharina von Aragon, als sie 1499 ihre Reise nach England in Santiago unterbrach, sei Zeugin gewesen, wie das Weihrauchfaß durch die Fenster des Südportals auf die Plaza de las Platerías stürzte. Ein tolles Schauspiel.
Ziemlich erschöpft machte ich eine kühle, ungemütliche Mittagspause auf einer Steinbank neben dem Camino. Sie gehörte zum Garten eines verlassenen Ha u ses, dem die Nationalstraße zu nah kam. Man mußte jetzt eine ganze Weile da r an entlang laufen, aber der Autoverkehr war nicht zu heftig. Es gab plötzlich auch wieder mehr Pilgerverkehr. Ich nahm alles stoisch hin, überlegte nur, wie lange ich dieses mörderische Tempo, das ich mir in den letzten Tagen auferle g te, aushalten werde. Die Knie protestierten schon, und ich schloß nicht aus, s o zusagen in der Zielgerade eventuell noch aufgeben zu müssen. Irgendwie konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen anzukommen. Wenn ich daran dachte, formte sich im Kopf kein Bild, sondern nur eine große milchgraue Leere. Ich hatte ke i ne Erwartungen, keine Wünsche. Nicht einmal über die doofen Radpilger, die vorbeizogen konnte ich mich noch ärgern. Nicht einmal jetzt über den kalten Hintern auf der Steinbank. Es gab kein Vergnügen und keine Erholung. Da sah ich Simon raschen Schrittes herankommen, einen radschiebenden Pilger im Schlepp, und war froh, mich ihnen anzuschließen und der
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