Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Hund. Ich konnte mich immerhin trösten, daß der Herr mit mir spazieren geht und mir Bälle zuwirft, was eigentlich gar nicht so selbstverständlich ist. Und jetzt war ich eben krank und hatte trotzdem noch Tage zu laufen.
Das Beste, was ich in dieser mißlichen Lage tun konnte, war, möglichst früh aufzubrechen. Wer wußte schon, wie sich die Krankheit noch entwickeln würde. Vorläufig konnte ich noch auf den Beinen stehen. Ich brach also früh auf und kam nach anderthalb Kilometern noch relativ rüstig in Palais de Rei an. Da flit z ten schon überall Pilger geschäftig hin und her, als ob sie zur Arbeit aufbrechen würden. Vor einem kleinen Hotel traf ich zum letzten Mal die rheinländische Walküre. Sie schritt die Straße auf und ab wie eine Löwin, rauchte nervös und sprach heftig ins Mobiltelefon. Offenbar wusch sie jemanden den Kopf, der se i nen Hausaufgaben nicht gerecht wurde. Ein persönliches Gespräch, zu dem ich unpassend kam, und dem ich nicht folgen wollte, auch wenn es lautstark publik geführt wurde. Sie sah mich nicht oder wollte mich nicht sehen, was mir nur recht sein konnte. Zumindest schien ihr Knie wieder in Ordnung zu sein, der Schritt kam satt und elastisch aus dem Sprunggelenk. Schön für sie, doch kam die Besserung bestimmt nicht vom Laufen. Ich nahm an, daß ihr Freund mit dem Leihwagen folgte, das große Gepäck transportierte und ihr notfalls zu Hilfe kam, wenn ihr das Gehen schwer wurde. Sie hatte ihr transzendierendes Erlebnis, er mehr Zeit zu telefonieren. Der Herr sorgt für uns alle, zumindest lädt er uns nicht mehr auf, als was wir tragen können.
Dieser Gedanke machte mir wieder Mut, und ich ließ alle ketzerischen Überl e gungen zum Hund und Mensch sausen und überließ mich dem Willen des Herrn, der mich doch bis hierher sicher geführt hat. Das war eine Tatsache und besser als dumme Spekulationen. Und wollte er mir doch so kurz vor dem Ziel lange Nase zeigen, so war es seine Sache, ich habe mein Bestes gegeben. Ich wollte aber doch lieber nicht an die Kreuze für die gefallenen Pilger denken. Es kam mir vor, sie seien häufiger. Hier hieß es, körperliches Mißbehagen abzuschalten, den Gang einzulegen und nicht an die sieben, acht Gehstunden vor mir zu de n ken. Nur dumm, daß ich bald nicht mehr geradeaus gehen und sehen konnte. Ich torkelte auf dem relativ breiten Weg vom Rand zum Rand wie ein Besoffener, der Kopf glühte und dröhnte, und ich spürte den Körper nicht mehr, auch wenn ich es versuchte. Zumindest nicht ganz so, wie es sich gehörte. Wenn ich mich nicht konzentrierte, sah ich um mich herum nur verschwommene Schatten. Da r auf wollte ich aber achten, daß ich nicht vom Weg abkam und im Gebüsch la n dete. Ich hätte vermutlich nicht die Kraft gehabt, wieder herauszukommen. An den Stellen, wo der Camino die Nationalstraße kreuzte, wurde es besonders pr e kär, weil ich jedesmal vergaß, mich vor dem Überqueren umzusehen. Es passie r te einmal, zweimal, dreimal. Jedesmal, wenn wieder mal ein Auto knapp vorbe i fuhr, schimpfte ich mich meiner Dummheit und gelobte Besserung. Aber das nächste Mal trat ich wieder blind in die Fahrbahn. Einmal wirbelte mich der Sog eines Schwerlasters vollständig herum. In der Verwirrung marschierte ich hu n dert Meter zurück, bis ich den Irrtum merkte und umkehrte. Wieder an der Str a ße angelangt, vergaß ich erneut mich umzusehen.
Die Demut kehrte ein. Nichts ärgerte mich mehr, keine Radfahrer, keine Autos, keine Fremden, nicht einmal meine Schwachheit. Zwölf Stufen der Demut lehrt der heilige Benedikt. Auf der ersten ergebe man sich Gott und seinem Gebot und entsage der Begierde, auf der zweiten dem eigenen Willen, auf der dritten der freien Selbstbestimmung. Hier erreichte ich die vierte – Standhaftigkeit bis zum Aus. Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn! [78] Es war ein langer Weg durch Zeit und Raum von da, wo ich zum ersten Mal auf Demut stieß. Und sollte ich vielleicht auf dem Tugendpfad nicht weiterkommen, ich hatte seitdem irgendwie doch vier Stufen der Demut erklommen. Das kam recht unerwartet für mich. Von Natur aus bin ich aufbrausend, respektlos und rebellisch. Mein Favorit war stets der feste Wille, schon als Kind, ich schämte mich nie meiner Sturköpfi g keit. Aufzugeben, wenn ich mich im Recht wähnte, kam mir nie in den Kopf, egal wer der Gegner sein mochte. Bestenfalls war ich bereit, mich eines Bess e ren belehren zu lassen. Wer mich aber belehren wollte, brauchte gute Argume n te, denn
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