Bis ans Ende der Welt (German Edition)
um so stärker die Zweifel. Von diesem Standpunkt her gesehen war es sehr tröstlich zu wissen, daß man diese Toten hier einfach ruhen ließ, bis sie beim Ruf der Posaunen aus ihrem Grab steigen.
Außer uns kamen nur wenige Menschen zum Gottesdienst. Ein paar meist ältere Pilger und kaum Einheimische. Auf der Schwelle putzten vier Altweiber in aller Ruhe das Meßsilber, zwei andere zischelten hinter meinem Rücken, während der Pfarrer, welcher Fernandel als Don Camillo verblüffend nahe kam, die Liturgie in monotoner Stimme und grobem Dialekt wie eine außer Kontrolle geratene Kaffeemühle herunter ratterte. Die Kehrverse der Gemeinde wartete er erst gar nicht ab, das hätte bei all den Ausländern wohl zu lange gedauert, sondern sprach sie gleich selbst. Ohne Komma, ohne Bindestrich, ohne auch die Stimme zu senken. Kurz und bündig, in neunzehn Minuten schaffte er die komplette Messe samt dem üppigen Pilgersegen. Eine veritable Leistung, wie jeder Priester bestätigen kann. Und der Herr, der bei den silberputzenden Weibern stand, hö r te es gelassen und ohne Kritik, denn dieser Priester las die Messe seit zig Jahren brav, pflichtgetreu, unermüdlich auf eben diese seine Art. Und dann erst recht die Einheimischen. Auch sie kannten ihren Hirten, sie schlugen an der richtigen Stelle das Kreuz und mischten sich ansonsten nicht in die Liturgie ein. Wo hä t ten wir, hergelaufene Ausländer, da eine Chance, diesem Gottesdienst dreita u send Kilometer mehr Würde und Inspiration zu verleihen? So nahmen wir den Segen und gingen, während die RTL-Jünger, die den Pilgersegen stets gerne mitnehmen, doch ungern zur Messe gehen, erst den Kirchenhügel hoch eilten. Ihnen machte der flinke Don Camillo einen Strich durch die Rechnung, und nur wenige schafften es rechtzeitig. Wir aber waren uns hochnäsig einig: Diese me s sescheuen Heiden verdienten es nicht anders. Wären sie doch besser zu Hause auf dem Sofa vor dem Fernseher geblieben, mit einer Tüte Kartoffelchips im Schoß und der Bierflasche in der Hand. Aber es war uns nicht ganz Ernst mit der Schadensfreude. Wir trugen den Segen zurück in die Herberge, wo schon der Verwalter werkelte, um für Ordnung zu sorgen und das magere Übernachtung s geld zu kassieren. Auch er war von der schnellen, entschlossenen Sorte. Das war hier der Spiritus loci . In diesem Dorf wurde nicht gefackelt, sondern gehandelt. Der Mann sammelte das Geld ein, prüfte die Pilgerbücher, stempelte sie aber wie zögerlich, als ob er ernste Zweifel an der Berufung ihrer Träger hegen wü r de, bohrte lieber doch noch mal nach, um dem Pilgerbetrug keinen Vorschub zu leisten. Wer kein Pilgerbuch hatte, flog einfach raus. Wer zu viele Stempel von Bars und Campingplätzen hatte, oder sich durch unpassende Ort- und Zeitang a ben verdächtigt machte, hatte sich zu verantworten. Bei mir bemängelte er, wie schon andere vor ihm, den Gebrauch eines englischen Pilgerbuchs, wo ich doch aus Deutschland käme. Aber er konnte mich nicht zwicken, auch wenn ich dafür zugänglich wäre, denn ich hatte von der Messe bereits einen viel schöneren Stempel der Pfarrei mit einem energisch schwertschwingenden Matamoros mi t gebracht. Sein Stempel dagegen wies nur einen verschwitzten, abgewirtschaft e ten, sauer schauenden Pilger ohne jeglichen Esprit auf. Den hieb er nun verdro s sen hinein. Das gute Werk getan, sperrte er vor Ort alle noch freien Öffnungen zu und ging nach Hause, wo immer es sein gewesen mag. Ich aber bat beim Abendgebet den Herrn, hier heute lieber kein Feuer ausbrechen zu lassen, denn bis morgen sieben Uhr gab es von diesem Ort kein Entkommen, außer vielleicht für die ganz schlanken und flinken durch das gekippte Toilettenfenster, und ich mag kein Gedränge und Streß.
Palais de Rei, km 2889
Aber natürlich bestand da keine Gefahr. Der Herr ließ ja die ganze Nacht kräftig regnen. Der Morgen kam daher grau und fade, die Pilger verließen das schü t zende Haus nur zögernd. Aber es ist das Los des Pilgers, jeden Tag bei jedem Wetter aufs neue aufzubrechen, in der Hoffnung, irgendwo, irgendwann dem Herrn zu begegnen. Und nicht zu vergessen, auch der Verwalter drängte auf A b schied, damit er das Haus wieder verschließen kann. Da die Küche ohne G e schirr war, nicht einmal eine simple Tasse fand sich da, verlor man auch keine Zeit unnütz mit Frühstück. Niemand klagte, denn man wußte um die zahlreichen Cafés und Bars, wo man sich nach Lust und Laune stärken konnte. Ich alle r dings hatte
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