Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Berechnung, doch muß ich gestehen, vielleicht doch gehofft zu haben, nebenbei zumindest einen Teil der an meine Person erbrachten Zweifel wieder wettzumachen. Indes umsonst. Der Kölner verließ uns auf halber Strecke nach Palais de Rei, ich vermute, weil wir ihm zu schnell waren, mit dem Versprechen, uns zum Abendessen wieder ei n zuholen, was allerdings nicht geschah.
Die Herberge vor Palais de Rei gehört zu den modernen Schlafeinrichtungen, mit denen die spanischen Behörden das Pilgerwesen fördern. Ein Teil des Ge l des könnte gar aus der Kasse der Europäischen Gemeinschaft stammen, die den Camino zum internationalen Kulturerbe kürte. Modern, das heißt Stahl und Glas und futuristisches Design. Alles schön und gut anzusehen. Doch die Küche wu r de bestenfalls einem Einfamilienhaus reichen, und die sozialen Einrichtungen ebenfalls. Aber das schien zunächst keine Rolle zu spielen, weil es hier völlig leer war. Erst vermutete ich, das Haus sei gar nicht im Betrieb, doch es war ta t sächlich erst mal nur leer. Ein Haus nur für mich? Wie hätte ich es genossen, mich nach der Dusche auszustrecken und die Ruhe zu genießen. Doch eing e denk der Tatsache, daß ich zwei Leute zum Essen einlud, mußte ich mich trotz der geleisteten fünfzig Kilometer auf den Weg in die anderthalb Kilometer en t fernte Stadt machen, um einzukaufen. Simon verzichtete auf ein solidarisches Mitgehen, was ich unfair, doch verständlich fand. Ich ging also los, und in der Stadt angekommen, staunte ich nicht schlecht. Alles war voll von Pilgern, die zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon ziemlich verzweifelt nach einer Unte r kunft, egal wie einfach, egal wie teuer, suchten. Wieso denn, fragte ich mich, wenn vor der Stadt direkt am Camino ein riesiges Alberque völlig leer stand? Dann aber begriff ich, daß alle, so wie sie hier verzweifelt herumliefen und auf die Spanier schimpften, auf vier Rädern ankamen, und die vierspurige Straße ging ja nicht direkt an der Herberge vorbei.
Arzúa, km 2919
Trotz gewisser Vorurteile, vielleicht gar Schadensfreude, konnte ich nicht u m hin, jedem zu erzählen, wo er Abhilfe fände, und bis ich vom Einkaufen zurüc k kam, war die Herberge ziemlich voll. Und was noch schlimmer, auch die kleine Küche. Die Zubereitung des Abendessens geriet durcheinander, und dann dürfte man noch um den Platz an dem einzigen Tisch mit irgendwelchen osteuropä i schen Ellenbogenmenschen streiten. Es war nicht das, was ich mir vom Abend versprach, und der Trost, anderen ein wenig geholfen zu haben, war mir als B e lohnung nicht genug. Ich ging früh schlafen, doch war es sehr unruhig in dem riesigen Schlafsaal, bis alle Geschichten zu Ende erzählt, reichlich Sachen h i nuntergefallen, genug herumgelaufen, mit Plastiktüten geraschelt wurde und endlich, endlich Ruhe herrschte. Es dauerte Stunden.
In der Nacht wachte ich plötzlich krank auf und verbrachte die meiste Zeit, wo die Unruhestifter von zuvor den Schlaf der Gerechten zelebrierten, auf der To i lette. Ich hatte Durchfall, hohes Fieber, starken Schüttelfrost und fühlte mich elendig schwach. Es sah nach einer Infektion und somit gar nicht gut aus. Au s gerechnet jetzt, noch kurz vor dem Ziel, drohte ich zu stranden. Vom Essen konnte es aber nicht kommen. Simon schlief ein paar Betten weiter ruhig und tief, offenbar nicht krank. Vielleicht war es der Apfelsaft in der Bar unterwegs oder eine Virusübertragung durch Körperkontakt. Aber letztlich war es ganz gleich, wie ich in diese Misere geriet. Ich saß drin. Vielleicht hat es dem Herrn gefallen, mir noch ein wenig mehr aufzuladen, weil ich gestern vor Simon prah l te, nach dreieinhalb Monaten durch Dreck und Staub wohl gegen alle Bazillen immun zu sein. Oder die Bazillen gingen am Herrn einfach vorbei und fraßen – Christ oder Heide – alle auf. Hier, auf der futuristischen Toilette war der Herr jedenfalls nicht, um mir Rat und Trost zu spenden. Er war wieder sonstwo u n terwegs und ließ sich nicht in die Karten sehen. Warum sollte er auch? Ich übe r legte, daß die Beziehung zwischen Mensch und Gott so ähnlich sein könnte wie zwischen Hund und Mensch. Der Hund ist glücklich, wenn ihm das Herrchen Bälle wirft, mit ihm spazieren geht und ihm den Futternapf hinstellt, und der Mensch tut es, um dem Hund eine Freude zu machen. Aber letztendlich hat er ganz andere Sorgen und Motive, als ständig seinen Hund zu erquicken. Für den Hund mag das Herrchen alles sein, doch umgekehrt ist der Hund nur ein
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