Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Gewissen. Und ich erinnerte mich, daß der Führer von einer monströsen, sprich „nicht so recht in die Landschaft passenden“ Schießanlage sprach. Entwarnung also. Ein Hoch auf die Schweizer Wehrhaftigkeit. Darau f hin zischten ein paar Gewehrgranaten durchs Gebüsch und explodierten mit ei n drucksvollem Krach. Die kann man von einer modernen Infanteriewaffe comp u tergesteuert so abfeuern, daß sie erst hinter der Gegnerdeckung explodieren. Sehr praktisch. Ich sah mich um, konnte aber nichts erkennen, außer Nebel und Regen in Fülle. Ich beschloß, daß bei diesem Wetter auf dem Bauch zu kriechen zu aufwendig wäre, und hielt tapfer durch. Gut, daß man wenigstens in Deutsc h land das Tragen von Messern verbot. Nicht auszudenken, wenn sich alle so ga r stig bewaffnen würden. Dann kam mir ein ehemaliger Lehrer in den Kopf, was eine passende Erinnerung war. Ein richtiges Schwein, der Mann. In der Klasse machte er stets anzügliche Bemerkungen, in der Pause trieb er sich meist um die Mädchentoiletten herum. Wenn man ihn übersah und nicht grüßte, was sehr leicht passierte, weil er kleinwüchsig war, schlich er sich von hinten heran und trat einem mit voller Wucht in den Hintern. Das tat er nur bei den Jungs. Er war recht muskulös, hielt sich fit, und mancher von den schwächeren Schülern fand sich anderthalb Meter weiter auf dem Gesicht wieder. Eigentlich war es kein richtiger Lehrer, sondern unterrichtete sogenannte zivile Verteidigung. Qualif i ziert war er, sofern ich mich nicht irre, durch seine Verdienste bei der Vertre i bung der Sudetendeutschen nach dem Krieg. Darüber machte er nebelhafte A n deutungen. Das Fach aber war recht beliebt, weil man dort nichts lernen mußte, außer wie man bei einem Atomalarm unter den Tisch kriecht und nach der vol l zogenen Explosion die Zeitung als Schutz vor dem radioaktiven Regen über dem Kopf hält und viele andere ähnlich gute Geschichten. Außerdem mußte man schießen lernen, was meist auf dem Schuldachboden mit Kleinkaliberg e wehr passierte. Ich schoß gut und hatte so etwas wie Ehrgeiz darin. Es war ei n fach lustig, immer Hundert von Hundert zu schießen. Eines Tages gab dieser Trottel die Munition aus, ließ laden und hielt, statt sich rasch zu verziehen, eine Motivationsrede über den Klassenfeind und seine zügige Eliminierung. Wä h renddessen lagen wir vor einem Holzbalken, den wir als Auflage nutzen durften. Ich hörte nur mit einem Ohr zu, weil ich gerade eine Ladehemmung hatte. Sehr mißlich. Erst versuchte ich das Magazin herauszunehmen. Ging nicht. Dann lud ich durch. Noch schlimmer. Dann entspannte ich die Feder mittels Abzug. Das ging. Es knallte, und die Kugel schoß dem Orator direkt am Ohr vorbei. Ich konnte die Ohrenhaarbüschel im Luftzug schaukeln sehen. Daraufhin schossen alle anderen Schüler ihre Magazine leer, weil sie nicht zuhörten und dachten, der Feuerbefehl sei ausgegeben worden. Der Mann aber, daß muß ich anerkennen, kannte sich aus. Er schmiß sich flach auf den Boden, daß es nur so krachte, und kroch ganz vorschriftsmäßig die ganze Schützenreihe ab. Es waren drei Jungs und sechsundzwanzig Mädchen, und es war ein langer Weg in die sichere Ecke, die aber nur bedingt sicher war, weil vor allem manche der Mädchen echt mis e rable Schützen waren und fast in jede Richtung schossen, außer vielleicht direkt nach rückwärts. Er war recht blaß um die Kiemen herum. Meiner Sportschü t zenkarriere hat es sehr geschadet. Und eine ganze Weile wurde keiner von uns in den Hintern getreten, soweit ich mich noch erinnern kann.
Nun tauchte plötzlich wie aus dem Nichts im Nebel ein einheimischer Tourist auf, ein noch junger Mann in bester Kondition, und wir schwammen ein Stück Weges zusammen. Wir unterhielten uns über alles mögliche, kamen aber im A n sinnen wohl nicht so ganz zusammen. Zumindest hatte ich das Gefühl. Es hat auch kaum einen Sinn, eigene Meinung vor Fremden zu ventilieren, wenn sie nicht mit den Medien konform geht. Aber das werde ich wohl nie lernen. Die Gehirnwäsche schleicht leise und wischt hinter sich auch noch auf. Nach etwa einer Stunde verzog er sich in ein Restaurant, und ich setzte den Weg fort. Die Schweizer sind in der Regel ruhige, höfliche und zurückhaltende Menschen. Davon konnte ich mich später noch häufig überzeugen. Sie mögen gewiß auch noch Eigenschaften haben, die eine Liaison nicht immer ratsam machen. Aber das hier gefiel mir, und ich wünschte mir redlich, ich selbst würde so
Weitere Kostenlose Bücher