Bis ans Ende der Welt (German Edition)
war aus der Gefahrenzone sicher heraus. Ich hätte ihr also nicht besser helfen können.
Der Umstand, daß Joanna und Stephanie nun plötzlich zurückblieben, kompl i zierte allerdings die Beziehung zwischen mir und Elisabeth. Vielleicht war es ihr nicht recht, ganz allein mit mir zu sein. Also engagierte sie Thomas als neue A n standsdame. Thomas war ein Lehrer aus Kassel, ein netter Kerl in den Dreiß i gern, aber auch er trug irgendein Kreuz. Er gesellte sich zu uns in der Mittag s pause und schien sich in unserer Gesellschaft wohl zu fühlen. Aber wahrschei n lich tat es ihm Elisabeth an. Was mich nicht wunderte, ich kannte das. Auch er war ein Austauschschüler des Deutsch-französischen Jugendwerks, konnte also mit Elisabeth tiefsinnige Gespräche führen. Ich marschierte mit dem Herrn dür f tig hinterher und hörte mit einem Ohr dem Gespräch zu. Auf diese Weise übte ich mein Französisch und erfuhr mehr über Elisabeth, als wenn ich sie selbst g e fragt hätte. Ich wollte ja nicht aufdringlich wirken. Sie erzählte von ihren drei großen Brüdern, dem Vater, der Arzt war, von ihrem Zuhause gleich neben dem Schloß von Versailles, von dem Garten ohne Zaun, der nahtlos in den Park überging. Der Herr lächelte, Elisabeth war sein Geschöpf, und er hatte Gefallen an ihr. Das Glückskind wurde von allen geliebt, gehätschelt und auf den Arm genommen. Sie lebte an der Sonnenseite. Sie hatte ein liebes, sorglos beglücktes Lachen, durch das ich mich selbst glücklich fühlte. Ich nahm es nur wahr, wenn sie wie jetzt mit Thomas mit anderen sprach. Bei dem kleinen Abstand konnte ich mich daran unauffällig wärmen. Wenn ich an Elisabeth denke, was häufig passiert, so wünsche ich beim Herrn, das Glück und dieses Lachen mögen sie nie verlassen.
Dank Thomas war ich - zumindest für den Augenblick - frei von allen galanten Verpflichtungen und auf mich gestellt. So konnte ich wieder mehr auf den Herrn und seine Welt achten. Ins Gespräch mischte ich mich nur ab und zu. Manchmal blieb ich zurück oder lief ein wenig voraus, um das seltsame Glühen am blauen Horizont zu beobachten. Das gab es sonst nirgends, das kannte ich nicht, es hielt mich fest. Oder ich befühlte Bäume und Steine, um ihre Kraft zu spüren. Oder ich segnete die Kälbchen. So verbrachte ich eine schöne Zeit.
Irgendwann, mitten im Hochwald, achtete ich nicht auf den Weg und verlief mich einer falschen Markierung folgend in einer Kehre. Ziemlich hoch hinauf stampfte ich durch einen verwachsenen Bergbach. Das kristallklare Wasser half mir, den Durst zu stillen, aber das war auch der einzige Trost. Unter Aufbietung aller Kraftreserven kletterte ich über gefallene Bäume und große Granitsteine, bis mir aufging, daß dies unmöglich der Camino sein konnte. Die meisten Pilger würden hier das Leben aushauchen. Ende der Laufbahn. Ich mußte den ganzen unangenehmen Weg wieder nach unten steigen, kam naß und erschöpft unten an und hatte einiges zu tun, um Elisabeth und Thomas wieder einzuholen. Ich gla u be, der Herr lachte sich einen über meine Einfalt. Elisabeth aber wartete auf dem nächsten Rastplatz. Es war ein romantischer Ort mit Tischen und Bänken und einer Feuerstelle auf einem Felsvorsprung hoch über der Schlucht gelegen. Hier hätte ich gerne länger verweilen wollen, aber Elisabeth machte sich gleich aus dem Staub. Offenbar wollte sie nur sichergehen, daß ich nicht verloren ging.
Später zogen wir wieder vereint durch Bergwiesen, vorbei an aufregenden, u n glaublich muskulösen und vitalen Aubrac-Bullen, an Kälbchen mit hohen, dü n nen Beinchen, braunen Kulleraugen und zarten Mäulern, die sich neugierig an den Weg drängten. Wir öffneten viele Gatter und sprangen über unzählige grü n schimmernde Kuhfladen. Manchmal standen große Granitfindlinge herum, die der Gegend etwas Vorzeitliches, Verträumtes, Verwunschenes verliehen. In e i nem Hausgarten am Wege tranken wir aus Durst und Übermut zwei Flaschen exzellenten Weißwein. Zu meiner Überraschung unterstützte uns Elisabeth ta t kräftig bei dem wohlgefälligen Vorhaben. Wir nahmen uns viel Zeit, und erst, als es nicht mehr aufzuschieben war, machten wir uns wieder auf den Weg. Durch den Weinkonsum animiert, fühlte ich mich geradezu virtuos. Nichts drückte, nichts zwickte. So hätte es ohne weiteres bis nach Santiago weitergehen können. Gutes Essen, guter Wein und hübsche Mädchen. C’est la vie, leben wie Gott in Frankreich. Übrigens kennen Franzosen das Sprichwort
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