Bis ans Ende der Welt (German Edition)
las, Elisabeth versuchte braun zu werden, und Thomas schlief unter dem Kastanie n baum. Das war keine so schlechte Idee, denn es sah so aus, als ob wir heute ke i nen Platz zu schlafen finden sollten. Alles schien ganz normal und absolut e r eignislos. Ein stinklangweiliger Pilgeralltag. Kaum wieder unterwegs, fing Thomas an, sich Sorgen um mich und Elisabeth zu machen. Er möchte künftig nicht mit uns gemeinsam, sondern separat schlafen, um uns nicht zu stören. Mehr sagte er nicht. Das fand ich etwas seltsam, weil ich dafür keinen Anlaß sah. Zumindest habe ich ihm, wie ich hoffte, keinen gegeben. Soweit ich wußte auch Elisabeth nicht. Wie kam er denn darauf? Freilich achtete ich auf Elisabeth bei jedem Schritt, und sie kümmerte sich umgekehrt auch um mich, aber das war schon alles. Und seit Thomas da war, nahm ich mich noch mehr zurück. Er hatte absolut keinen Grund, sich übergangen oder gar überflüssig zu fühlen. Ich ve r suchte ihm zu erklären, daß seine Absicht Elisabeth in Verlegenheit bringen wird. Sie war eine Jungfrau, sehr religiös und traute sich offensichtlich nicht mit mir allein. Egal warum. Ich respektierte sie, wie sie war, wollte sie nicht anders haben. Ich fand es schön, daß es jemanden wie sie gab. Sie war eine Schönheit und auf jemanden wie mich nicht angewiesen. Es war auch ein großer Altersu n terschied zwischen uns. Ich versuchte es Thomas so irgendwie zu erklären und seine Gefühle, gleich wie sie waren, nicht zu verletzen. Er hörte sich das ohne Widerspruch an, und ich hielt die Sache zwar nach wie vor für seltsam, dennoch für erledigt. Es war aber nicht erledigt, nur für heute blieb noch alles, wie es war.
Aumont-Aubrac , km 1395
In der Frühe begleitete uns Thomas noch bis Saint-Alban-sur-Limagnole , dann aber erklärte er abrupt, er erwarte Freunde aus Bremen zu Besuch und müsse sich nach der Rückfahrt erkundigen. Die Rückfahrt schien ihm plötzlich sehr wichtig. Elisabeth sagte gar nichts dazu, ich aber machte mich um ihn Sorgen. Irgendwie klang darin eine Traurigkeit mit, die mich rührte. Ich konnte mich nicht ganz von der Vermutung frei machen, Elisabeth und ich wären der Ausl ö ser. Meine mangelnde soziale Kompetenz machte sich wieder bemerkbar. Nie werde ich meinen Nächsten verstehen. Ich prüfte mein Gewissen, fand aber nichts, fragte also den Herrn, aber er zuckte nur mit den Schultern. Was immer Thomas bedrückte, ich werde es vermutlich nie erfahren. Gestern waren wir noch die drei Musketiere, heute ging einer enttäuscht davon.
Trotzdem war es uns irgendwie leicht. Wir taten, als ob nichts wäre, bummelten leger durch die Stadt, sahen uns in aller Ruhe alles an, kauften ein paar Kleini g keiten und tranken einen Aperitif. Elisabeth hat sich sogar so weit gehen lassen, eine Packung Zigaretten zu erwerben. Bisher sah ich sie noch nie rauchen. En t weder genierte sie sich vor mir, oder sie nahm sich für die Zeit der Pilgerschaft vor, der Sucht zu widerstehen. Nun, damit war jetzt Schluß, das stand fest, aber sie gab sich auch später die Mühe, möglichst nicht in meiner Anwesenheit zu rauchen. Als ob ich was gesagt hätte. Habe ich aber nicht. Statt dessen stellte ich fest, daß sie der berühmten österreichischen Kaiserin Sissi sehr ähnlich sieht, und taufte sie auf diesen Spitznamen um. Der Film mit Romy Schneider ist auch in Frankreich gut bekannt, und Elisabeth fühlte sich geschmeichelt.
Wir zogen schließlich weiter. Doch eher zögernd, weil es uns in der Stadt gut ging. Bald aber waren wir lustig in unserem Element. Beeilen mußten wir uns nicht. Die heutige Etappe maß nur achtzehn Kilometer. Der sandige Weg unter den Sohlen fühlte sich wie ein Teppich an. Der Camino wand sich zwischen struppigen Wiesen und urzeitlichen Granitfelsen dahin, Thymian, Lavendel und eine ganze Anzahl anderer, mir unbekannter Gewächse blühten üppig am We g rand, alles roch kräftig danach. An manchen Stellen lagerten Tausende Schme t terlinge auf der Erde. Von unseren Schritten aufschreckt öffneten sie ihre Flügel und im nächsten Augeblick erstrahlte alles in einem einzigartigen Kobaltblau, das zu sehen ist, wenn man in einen Kernreaktor hineinsieht. Dann schlossen sie wieder wie auf Befehl die Flügel und wurden nur die üblichen braunen Pfaua u gen, wie ich sie von zu Hause kannte. Der Himmel ertrank in einem tiefen, sa t ten Blau, das am Horizont von dem geheimnisvollen Glühen erstrahlte. Man ha t te das Gefühl, bloß einen Schritt vom Himmel
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