Bis ans Ende der Welt (German Edition)
nicht. Vor lauter Leichtsinn erbot ich mich im nächsten Dorf einer jungen hübschen Norwegerin, die Rucksackriemen korrekt einzustellen, was eine ganze Menge Fummelei an ihr erforderte, und sie half mir kein bißchen an den Stellen, wo ich auf keinen Fall hinlangen wollte. Ich nahm es arglos hin, machte Witze, während Thomas und Elisabeth daneben standen und alles genau beobachteten. Sie bedankte sich lieb und ging weg, während wir noch ein wenig das Dorf unsicher machten. Thomas wollte Elisabeth wohl ein wenig provozieren und fragte sie, ob sie sich von mir auch so befummeln lassen würde. Was mich, ehrlich gesagt, nicht w e nig entsetzte, weil ich einen solchen Eindruck - bei ihr vor allem - nicht erwe c ken wollte. Zunächst wies sie sittsam verlegen solch einen Frevel von sich. Dann aber dachte sie nach und sagte tatsächlich: „ Peut-être .“ Bei aller Eitelkeit, es klang irgendwie ernst, und an der Reaktion von Thomas sah ich, daß ich mich nicht verhört habe. Ich lenkte die Sprache auf ein anderes Thema, und dem Herrn versprach ich für die Zukunft etwas mehr Demut.
Diesem herrlichen Tag beendeten wir in einem privaten Gîte, der ganz passend La Vie est Belle hieß. Es war eine originell und aufwendig umgebaute Bauernk a te am Waldrand, mit Kamin und einigem alten Mobiliar. Alle hier anwesende Pilger waren praktisch schon alte Bekannte, die zwei Nepal-Amerikaner mit eingeschlossen. Sie schienen eine feine Nase für gute Übernachtungsplätze zu haben. In guter Runde genossen wir ein exzellentes Menü mit Wein und Käse in Fülle, und später las ich in einem bequemen Sessel noch in der Bibel und schrieb das Tagebuch. Der Herr sah dem gefällig zu und ließ mich nicht fallen, als ich an der steilen Holztreppe in Wollsocken ausrutschte. Ich wäre gute drei Meter tief gestürzt und damit aus dem Rennen. Draußen fiel Nebel in Schwaden, und am Waldrand heulte die Bête du Gévaudan . Es war gut, ein Dach über dem Kopf und einen Riegel an der Tür zu haben. Ich mußte an Joanna denken. Sie wollte, um Kosten zu sparen, ausschließlich im Zelt übernachten. Bis nach Compostela.
Le Rouget, km 1377
So schöne Plätze wie hier müßte man eigentlich länger genießen können, aber der Pilger hält an nichts fest. Der Camino zieht ihn fort und fort. Komfort, gute Mahlzeit und eine erholsame Nacht hatten wir hier, aber am Morgen liefen alle weg, als ob dies nur eine abgebrannte Scheune gewesen wäre. Die meisten sahen sich nicht einmal um. Vor uns lag eine Hochlandschaft um die tausend Meter über dem Meeresspiegel mit viel Rindern, kaum Menschen und keinerlei G e schäften oder Kneipen. Die fünfzig Kilometer zwischen den Flüssen Allier und Truyère bestehen aus einem Gebirgszug, der Margeride genannt wird. Der höc h ste Punkt liegt bei fünfzehnhundert Metern, irgendwo. Die Wasserscheide pa s sierten wir am Col de l’Hospitalet .
Der Name weist auf ein Templerhospital aus dem 12. Jahrhundert. Davon blieb nach den Religionskriegen nichts mehr übrig außer einer Quelle, die dem heil i gen Nothelfer Rochus gewidmet ist und gegen hartnäckige Wunden und Auge n leiden gut sein soll. Der Heilige, meist martialisch mit Wunden und Pestbeulen überhäuft, ersetzt in dieser Gegend als Hausheiliger den heiligen Jakobus. Die Legende erzählt, er stamme aus Montpellier, sei 1317 nach Rom g e pilgert und habe sich und andere Pestkranke durch Wunder geheilt. Es war eine gute Stelle, ein wenig an die Mutter und andere Kranke zu denken und für sie zu beten. Ich hatte eine ganze Reihe solcher Anliegen von zu Hause mit- oder später unte r wegs aufgenommen, und ich glaube an die Kraft des Gebetes. Pillen, Ärzte und die Gerätediagnostik sind nicht schlecht, aber wenn sie am Ende sind, dann gibt es noch Gebet und Gelübde. Erst als wir weitergingen, fiel mir ein, daß ich mich selbst völlig vergaß. Seit einiger Zeit nämlich wurden meine A u gen immer schlechter, und es war nicht nur die Frage einer neuen Brille. Ich war deswegen ziemlich besorgt, und wenn ich mich nun so selbstlos vergaß, so wu n derte ich mich darüber.
Plötzlich wimmelte es hier von Pilgern, alles geriet in Bewegung, und wir zogen weiter. Elisabeth schien etwas von ihrer Energie eingebüßt zu haben und suchte telefonisch nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Aber überall vergeblich, alles war bereits besetzt, in einem Fall schien die Wirtin betrunken zu sein. Wir gaben auf und verbrachten eine faule Siesta in einem verlassenen Bauernhof. Ich
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