Bis ans Ende der Welt (German Edition)
jedoch dem Wein huldigen, und man käme auch ohne sie gut weg. Wer selbst von Macht, Reichtum und gutem Leben reichlich G e brauch mache, sollte anderen nicht die Moral predigen. Sein Standpunkt war nicht neu. Schon der Apostel Paulus sprach das Problem im Brief an die Römer viel drastischer an. So deutlich, daß sich so manche Bibelübersetzung vor dem Wortlaut lieber drückt. Doch er gab auch gleich die Antwort: Daß aber einige nicht treu waren, was liegt daran? Sollte ihre Untreue Gottes Treue aufheben? [33]
Meine Freunde und Bekannte zu Hause sind alle getauft und katholisch erzogen worden. Dennoch hätten sie dem Mann wohl Recht gegeben oder einfach g e schwiegen, sei es aus Toleranz, sei es aus Scham, sich zu bekennen, sei es aus Unwillen, sich wegen so eines Themas einem Streit auszusetzen, sei es aus U n sicherheit und Unkenntnis. Hier aber stand der ganze Tisch wie eine Eins für die Mutter Kirche ein. Elisabeth, katholische Jungfrau und Verehrerin der heiligen Theresia von Lisieux, geriet richtig außer sich über so viel Kleinmut. Lebhaft über den Tisch gelehnt, die Wangen vor Eifer gerötet, drang sie erbarmungslos auf den Zweifler ein. Ich konnte nicht leugnen, es stand ihr gut. Auch Joanna und Stephanie traten eifrig mit guten Argumenten vor. Gemeinsam schlug man die Kritik des Zweiflers nieder. Punkt für Punkt. Bis er, der Übermacht einsic h tig, still aufgab.
Ich fragte mich ernsthaft, ob auch etwa Pater Michael, der Klosterpfarrer, so klar und leidenschaftlich für die Kirche, die ihn schließlich gut nährte, Stellung b e ziehen würde, wie es diese Mädchen hier taten. Er forderte die Meßbesucher von der Kanzel auf, nicht zu knien und veränderte kreativ den liturgischen Wortlaut. Und er war nicht der einzige Priester, der es tat. Mich als Schaf Gottes veruns i cherte die Rebellion der Hirten. Sie passierte ohne Not und war doch todernst gemeint. Den Kopf in den Wolken, gesichert, wohlbestellt, geachtet, wollten sie eigene Liturgie feiern, Schwule und Frauen ordinieren, die Bibel nach dem Zei t geist umschreiben, die Gläubigen mit Verstand statt mit Glauben füllen. Nicht der Mutter Kirche, nein, diesen progressiven Hirten ging wohl das zweifelnde Schaf verloren, und sie sind nicht zurückgegangen, um es zu suchen und z u rückzubringen. Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten. [34] Nicht so die Mädchen. Auf sie war ich richtig stolz. Sie haben sich des Evangeliums nicht geschämt und standen für ihren Glauben ein. Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. [35]
La Clauze, km 1352
Ich erfreute mich meiner Rumpelkammer nicht lange allein. Mitten in der Nacht ließ man noch François aus Quebec herein. Wer weiß, wo er sich noch um diese Zeit herumtrieb. Sauges , die Heimat des Rotkäppchens und der Bête du Géva u dan , lag nur einige Kilometer von hier entfernt. Eine ziemlich rauhe Gegend war es da draußen, in der ich ungern nachts herumirren würde. Von 1764 bis 1767 zerriß da eine wie auch immer geartete Bestie über hundert Frauen und Mä d chen, so daß sich sogar der französische König der Sache annahm und ein Jag d kommando schickte. Eine mysteriöse Geschichte, die schließlich damit endete, daß man einem großen Wolf die Schuld in die Pfoten schob. Ein Rotkäppchen, das den Wolf überlistete, gab es wohl. Wenn man meinem Französischlehrbuch glauben wollte. Die originelle rote Kappe, wie man sie auf den Bildern bewu n dern kann, ist die Jakobinermütze. Ein riesiger, roh aus Holz gehauener Wolf, blickt heute von einer Anhöhe hungrig auf Souges hinunter, vom Rotkäppchen gibt es aber keine Spur. Eine gute Weile nervte ich alle mit der Bête du Géva u dan . Das Untier paßt einfach zu gut in diese Landschaft.
Schon im Morgengrauen schwärmten dann die Pilger wie verabredet von ihren Schlafplätzen aus, um nichts vom Tag zu verschwenden. Der Ort hätte es ve r dient, besucht zu werden. Vermutlich war es früher eine Festung. Ein schiffsa r tiger Bau mit einer Grünanlage obenauf, der hier schroff über dem Tal aufragt, ist schon fast der ganze Ort. Unsere Herberge lag noch draußen vor der Schut z mauer, und zur Besichtigung blieb uns keine Zeit und Energie. Das mußte a k zeptiert werden, der Pilger ist eben kein Tourist. Zum Trost nahm ich mir vor, diese Gegend irgendwann
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