Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
Henriette Habermick eine Runde um das Gartenhaus. Dann trat sie mit aller Kraft in die Bremse und würgte den Motor ab. Sie sprang vom Sattel herunter, ließ das Mofa ins Gras fallen und fing an zu lachen.
Sie lachte und lachte, drehte sich um die eigene Achse und klatschte sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel.
»Ach, Oskarchen!«, rief sie, nahm seine Hand, zog ihn zu sich heran und küsste sein blondes Haar. »Du bist vielleicht ein Tausendsassa.«
An diesem Abend ging Mathilda mit sehr gemischten Gefühlen ins Bett. Einerseits wusste sie nun, dass Henriette Habermick nicht wirklich böse auf sie war, was ihr das Herz ungemein erleichterte. Andererseits war Oskar ganz eindeutig nicht mehr derselbe Oskar, der vor drei Monaten in Opa Heinrichens Gartenhaus gezogen war.
So viele Entscheidungen wie in den letzten beiden Tagen hatte er noch nie getroffen, und es stand allmählich zu befürchten, dass er Mathilda gar nicht mehr wirklich brauchte.
Okay, Oskar hatte ihr gesagt, dass er sie mochte. Aber freiwillig war er ja nicht gerade damit herausgerückt. Mathildahatte schon einiges an Entschlossenheit aufbieten müssen, um das aus ihm herauszupressen.
Vielleicht war genau das ein Fehler gewesen.
Vielleicht hatte sie ihn zu sehr bedrängt, möglicherweise sogar überfahren. Und wenn sie Pech hatte, hatte er vor lauter Schreck nicht mal die Wahrheit gesagt, sondern nur das, was sie von ihm hören wollte.
Ob Oskar das wohl zugeben würde, wenn sie ihn danach fragte?
Wenn er es nämlich nicht tat, sondern wieder nur herumdruckste, würde das Ganze zwischen ihnen stehen bleiben wie ein unsichtbarer Geist.
Sie würden nie mehr so miteinander reden und zusammen Sachen unternehmen können wie vorgestern, vorvorgestern oder in der vorletzen Woche.
Verdammt! So gesehen war es wohl besser, wenn sie ihn gar nicht erst fragte und zunächst einmal abwartete, ob dieser blöde Geist trotzdem auftauchte.
Vielleicht wäre es gut, wenn sie morgen einfach mal nicht durch die Buchsbaumhecke zu Opa Heinrichen hinüberkroch, sondern daheimblieb oder alleine mit dem Bus zur Bohmfelder fuhr und Julius einen Besuch abstattete, um mit ihm zu besprechen, wie lange er ihnen sein Mofa noch ausleihen könnte.
Und womöglich wäre es sogar noch besser, wenn sie ihren Eltern gegenüber ihre Bockigkeit einstellte, ihre Wünscheakzeptierte und sich für ein paar Wochen in ein Tussenferienheim schicken ließ.
Klar, Mathilda würde dort Bauchkrämpfe kriegen, Sehnsuchtsanfälle und dieses ganze unerfreuliche Zeug, aber vielleicht hätte sie ja Glück und Oskar erginge es hier auch nicht anders. – Nicht dass sie ihm das wünschte. Nein, ganz bestimmt nicht!
Mathilda wollte, dass es ihm gut ging. Noch mehr aber wollte sie keine halben Sachen. Und um zu erkennen, ob eine Sache noch ganz, nur halb oder bereits halb vorbei war, musste man manchmal eben in den sauren Apfel beißen und etwas tiefer in die Trickkiste greifen.
Entschlossen schlug sie die Bettdecke zur Seite und schlurfte zu ihrem Schreibtisch hinüber. Natürlich hatte das Hausmädchen wie immer alles picobello aufgeräumt, sodass Mathilda jetzt leider nicht eine Schublade nach der anderen herausreißen und nach einem Schreibblock und einem Stift durchwühlen musste, wie sie es in diesem Moment am liebsten getan hätte.
Nein, der Schreibblock lag genau vor ihr auf der Unterlage aus pinkfarbenem Rindsleder. Das Deckblatt war bereits aufgeschlagen und der teure neue Füller stand direkt daneben in einem praktischen Halter.
Mathilda setzte sich auf den Drehstuhl, zog die Füllerkappe ab und fing an zu schreiben.
Lieber Oskar,
ich habe viel nachgedacht, und ich glaube inzwischen, dass es gar nicht so verkehrt ist, wenn ich meinen Eltern nachgebe und einen Teil der Sommerferien woanders verbringe.
Natürlich wird es mir nicht gefallen, und natürlich werde ich heilfroh sein, wenn ich wieder zurück bin und wir mit dem Mofa durch den Garten sausen und Spaß miteinander haben können. Aber weißt Du, Oskar, ich habe so eine ganz verrückte Hoffnung: Wenn meine Eltern mich eine Weile gar nicht mehr sehen, vielleicht fehle ich ihnen dann ja doch ein bisschen.
Halt die Ohren steif (Du hast bewiesen, dass Du das kannst).
Deine Mathilda
Mathilda verzichtete darauf, sich das Ganze noch mal durchzulesen, riss das Blatt ab, faltete es zusammen und stopfte es in die Gesäßtasche ihrer Shorts, die sie sich bereits für den nächsten Tag zurechtgelegt hatte.
Sie war sehr gespannt,
Weitere Kostenlose Bücher