Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
los?«, brüllte Ronald von Dommel. »Hast du ihnen irgendetwas gegeben, das ihnen nicht bekommen ist?«
»Ach, jetzt bin ich also wieder schuld, ja?«, erwiderte seine Frau. »Aber wenn du es genau wissen willst«, fuhr sie aufgebracht fort, »unser Engelchen musste mal und dann sind die beiden im Gebüsch verschwunden. Was dort geschehen ist, entzieht sich meiner Kenntnis.«
Mathildas Vater erbleichte. »Du hast die Kinder unbeaufsichtigt gelassen?«, stieß er ungläubig hervor. »Barbara, du hast mir hoch und heilig versprochen, dass du unsere Tochter nicht eine Sekunde aus den Augen lässt.«
Mathilda hörte auf zu jaulen. »Darf ich etwa nicht mal mehr alleine aufs Klo?«, fragte sie erbost.
»Dorthin schon«, sagte ihr Vater. »Allerdings nicht ins Gebüsch. Das ist viel zu gefährlich.«
»Aber Oskar war doch bei mir«, entgegnete Mathilda.
»Nicht von Anfang an«, betonte Barbara von Dommel.
»Na, das will ich doch hoffen«, sagte ihr Mann.
Mathildas Mutter stieß ein kurzes hysterisches Lachen aus. »So oder so, mein Lieber«, erwiderte sie. »Für meinen Geschmack waren sie viel zu lange alleine dort.«
Ronald von Dommel zog die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen. »Was willst du damit andeuten?«
Seine Frau kreuzte die Arme vor der Brust. »Dass man Jungen und Mädchen in diesem Alter nicht allein lassen kann natürlich. Schon gar nicht im Gebüsch.«
»Ts!«, schnaubte Mathilda. »Was glaubst du denn, was wir dort gemacht haben, he?«
»Euch geküsst!«, sagte ihre Mutter mit einem kurzen Seitenblick auf Oskar und zog angewidert ihre Mundwinkel nach unten.
Oskar hörte auf zu jaulen und auch sein Arm, der den Rucksack hin und her schlenkerte, stand augenblicklich still. Er spürte, wie ihm erneut die Hitze ins Gesicht schoss, und wieder einmal wusste er vor lauter Verlegenheit nicht, wo er hingucken sollte. Also fixierte er seinen Rucksack und dachte an seinen alten zerzausten Stoffbären, der ganz unten im Hauptfach lag. Zu schade, dass es im echten Leben keine Schrumpfpillen gab, sonst hätte Oskar jetzt ebenfalls in die schützende Dunkelheit des Rucksacks kriechen und sich an den Bären kuscheln und dessen vertrauten Geruch einatmen können. Er vermisste seine Mutter, Opa Heinrichen und das Gartenhaus mit dem Geheimquartier, und er hätte alles dafür gegeben, wenn diese ganze schreckliche Reise nur ein Albtraum wäre, aus dem er jeden Moment erwachen könnte.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Mathilda. »Ich meine, wir können ja schlecht hier stehen bleiben und warten, dass es Zweieurostücke regnet.«
»Zweieurostücke?« Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Du hast vielleicht Vorstellungen!«
»Bitte in hundertfünfzig Metern links fahren. A fünf«, meldete die Dame im Bordcomputer sich zu Wort.
Im Kofferraum raschelte das Klopapier, und Mathilda raschelte ein bisschen mit der Brottüte, in der sich Oskars halbes Baguette befand. Sie war heilfroh, dass er aufgehört hatte, seinen Rucksack gegen die Rückbank zu schlagen. Ihre Eltern hielten ihn bestimmt schon für total meschugge. Nicht,dass es ihr etwas ausgemacht hätte – überhaupt nicht! Wenn es nach Mathilda ging, konnte Oskar gerne so meschugge sein, wie er wollte. Sie ertrug es bloß nicht, dass ein anderer, jemand, der ihn überhaupt nicht richtig kannte, so etwas über ihn dachte.
»Vielleicht sollten wir einfach tun, was sie sagt«, schlug Mathilda vor und deutete auf den Bildschirm des Bordcomputers. »Oder wir drehen um und fahren wieder nach Hause. Mit einer Tankfüllung kommen wir doch genau hin.«
Ronald von Dommel schüttelte den Kopf. »Das ist mir zu unsicher.«
»Außerdem sind wir auf der Flucht«, bekräftigte seine Frau. »Da kann man nicht so einfach zurück.«
»Ich habe Geld«, sagte Oskar unvermittelt. »Meine Mutter hat mir was mitgegeben. Für alle Fälle.« Er wusste selber nicht, warum ihm das erst jetzt einfiel. Offenbar hatten das Wolfsgeheul und das Rucksackschlagen seine ganze Konzentration gefordert.
»Wie viel?«, fragte Mathildas Vater.
»Hundertfünfzig.«
Barbara von Dommel lachte.
»Einen Pelzmantel könntest du dir davon natürlich nicht kaufen«, meinte Mathilda bissig.
Ihre Mutter winkte ab. »Wo denkst du hin! Das reicht ja nicht einmal für eine einzige Faltenkur von Schlammyral de Marsej.«
»Hundertfünfzig sind besser als nichts«, sagte ihr Mann.
Er startete den Motor, setzte den Blinker und folgte den Anweisungen der Dame aus dem Bordcomputer.
Eine gute
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