Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
warf sie auf den Beifahrersitz.
Durch das Seitenfenster beobachteten die Kinder, wie Mathildas Eltern miteinander diskutierten. Beide schienen sehr aufgebracht zu sein.
Als sie kurz darauf in den Wagen stiegen, hatte sich jedoch alle Aufregung bereits wieder gelegt.
»So, ihr Lieben«, sagte Mathildas Vater und rieb sich die Hände, als ob er gerade einen besonderen Coup gelandet hätte. »Alles frisch und munter?«
»Hauptsache,
du
bist es«, erwiderte Mathilda. »Ich fände es nämlich gar nicht witzig, wenn du noch einmal einschlafen würdest.«
»Keine Sorge, mein Engelchen«, entgegnete Ronald von Dommel fröhlich. »Ich bin hellwach und zu allen Schandtaten bereit.«
»Ja, genauso ist es!«, tirilierte seine Frau. »Papa, du, das Oskarchen und ich, wir wollen uns eine richtig schöne Zeit machen und ganz viel Spaß miteinander haben.«
Ach, auf einmal?, dachte Mathilda und warf Oskar einen alarmierten Blick zu. Diese plötzliche übertriebene Fröhlichkeit ihrer Eltern war ihr alles andere als geheuer.
»So weit ist es gar nicht mehr«, sagte Ronald von Dommel erfreut, nachdem die Dame im Bordcomputer den Wagen mit sanfter Stimme zurück auf die Autobahn gelotst hatte. »Nicht einmal mehr vierhundert Kilometer.« Die gymnastischen Übungen, die er auf dem Parkplatz vollführt hatte, hatten ihn augenscheinlich erfrischt, denn nun brauste er mit einer Geschwindigkeit von hundertachtzig Stundenkilometern über die Überholspur. »Wenn es gut läuft, sind wir in knapp drei Stunden in Ovada.«
»Ach, ich freu mich ja so!«, trällerte Mathildas Mutter. Sie zog ihren Lippenstift nach und legte sich das Seidentuch aus ihrer Handtasche um den Hals. »Ich war noch nie an derRiviera.« Sie drehte sich nach hinten und musterte Oskar mit gütiger Miene. »Und du, mein Kleiner? Hast du dich inzwischen ein wenig beruhigt?«
»Ähm …«, sagte Oskar. »Ja … also …«
»Dein Arm scheint jedenfalls wieder in Ordnung zu sein«, stellte Barbara von Dommel mit zufriedener Miene fest. »Bestimmt lag es nur daran, dass du so lange still sitzen musstest. Aber ihr habt es ja gehört: Heute Mittag werden wir endlich in Italien sein und dann könnt ihr euch am Strand nach Herzenslust austoben.«
»In Italien ist es also nicht mehr gefährlich für uns?«, fragte Mathilda überrascht.
»Aber nein!«, rief ihre Mutter. »Wie kommst du denn nur auf eine solch absurde Idee? Wir fahren in den Urlaub. Gefährlich ist es keine einzige Sekunde gewesen«, fügte sie mit großer Geste hinzu.
»Aber ihr habt doch gesagt, dass es jemand auf mich abgesehen hat«, stammelte Mathilda, ohne ihren Blick von Oskar zu nehmen.
Sie hob die Schultern und schüttelte anschließend den Kopf und führte diese Bewegungen dann im gleichmäßigen Rhythmus fort, damit er kapierte, dass sie gerade vor dem größten Rätsel ihres Lebens stand.
»Ich glaube, die haben einfach Angst, dass ich durchdrehe«, formte Oskar lautlos mit dem Mund, aber offenbar war der Satz zu kompliziert, als dass Mathilda ihn von seinenLippen ablesen konnte. Denn sie hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln und mit den Schultern zu zucken.
»Ich glaube, du hast da etwas falsch verstanden«, sagte Ronald von Dommel. »Selbstverständlich hat es niemand auf dich abgesehen. Aus welchem Grund auch?«
Vielleicht weil ich die Tochter eines stinkreichen Klopapierfabrikanten bin, dachte Mathilda. Das zumindest schien ihr eine einleuchtende Erklärung zu sein.
»Weißt du, mein Engelchen, das war alles nur Spaß«, betonte Barbara von Dommel. »Wir wollten diese Reise so aufregend wie möglich für euch gestalten.« Sie tippte mit ihren sorgfältig gefeilten und in einem eleganten Lachston lackierten Fingernägeln auf den Monitor des Bordcomputers. »Selbstverständlich weiß ich, dass ein solches Gerät uns nicht auf eine falsche Fährte locken kann. Das habe ich bloß gesagt, um deine Fantasie anzuregen.«
Als ob das nötig wäre!, dachte Oskar und schenkte Mathilda ein zartes Grinsen.
Mathilda stellte das Schultergezucke und Kopfgeschüttele ein und grinste ebenfalls.
»Alles klar, Mama«, sagte sie und lehnte sich in den Sitz zurück.
Vollkommen unabhängig davon, welche Gründe ihre Eltern für ihren plötzlichen Sinneswandel hatten, bescherte er ihr und Oskar immerhin einen Vorteil: Es gab nun keinen Grund mehr, sie weiterhin im Wagen oder später in der Pensionfestzuhalten oder gar ständig zu beaufsichtigen. Mathilda konnte es nämlich kaum noch erwarten, die
Weitere Kostenlose Bücher