Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
Dommels Klopapiersortiment. Noch dazu klang ihre Stimme so hohl und scheppernd wie eine leere Coladose, die vom Wind über den Straßenasphalt gerollt wurde.
»Tu ich doch gar nicht«, sagte Oskar und bemühte sich mit aller Kraft, entschlossen und vor allem irre mutig zu klingen. »Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen.«
»Ach ja, und wie?«, blaffte Mathilda weiter mit ihrer Schepperstimme. »Soll ich mich etwa auf die Straße stellen und brüllen: Hallo, ihr lieben Erpresser, hier bin ich! Wollt ihr mich nicht ein bisschen entführen? Das würde meine Eltern nämlich wahnsinnig traurig machen.«
»Das würde es wirklich«, sagte Oskar. »Und das weißt du auch«, fügte er etwas leiser hinzu.
»Ja, ja, ja!« Mathilda ballte nun ebenfalls die Fäuste und schlug damit auf das Bettzeug ein.
»Das bringt gar nichts«, sagte Oskar.
Mathilda schüttelte den Kopf wild in alle Richtungen, sodass ihre schwarzen Locken nur so herumflogen. »Mir egal. Ich muss jetzt irgendwas tun, sonst werde ich nämlich radekastensuperdoll.«
»Okay«, sagte Oskar. »Wie wär’s mit Nachdenken?«
»Und worüber?«
»Na, zum Beispiel darüber, wer diese Erpresser sein könnten«, erwiderte Oskar. »Warum sie das tun und ob sie es waren, die uns auf der Autobahn verfolgt haben.«
Mathilda hörte umgehend mit dem Getrommel auf. »Klar waren die das!«, rief sie aus. »Wer denn sonst?«
»Na ja, dein Vater könnte sich das schließlich auch bloß eingebildet haben«, meinte Oskar.
»Glaub ich nicht«, sagte Mathilda. »Ich wette, meine Eltern haben keine hunderttausend Euro gezahlt. Wann und an wen auch?« Sie deutete auf die Anzeige. »Darin steht schließlich nichts von einem bestimmten Datum oder einem Ort, an dem das Geld hätte deponiert werden müssen.«
Oskar kratzte sich am Kopf. »Bist du ganz sicher? Ich meine, die Erpresser könnten ja vielleicht noch eine zweite Botschaft geschickt haben, in der all das drinstand.«
Mathilda hob hilflos die Arme.
»Das wäre doch total hirnrissig!«, stieß sie dann plötzlich hervor. Sie fixierte Oskar, und während sie das tat, setzte sich in ihrem Oberstübchen das Grübelkarussel in Bewegung. Gedanken und Ereignisse wurden wie Puzzleteile durcheinandergewirbelt und landeten schließlich allesamt genau an der richtigen Stelle. »Mensch, Habermickchen, du bist wirklich genial!«, jubelte Mathilda. Sie warf Oskar ihre Arme um den Hals und küsste ihn herzhaft auf beide Wangen.
»Also echt, muss das denn immer sein?«, brummte er und befreite sich sanft, aber bestimmt aus Mathildas Umklammerung. »Außerdem weiß ich überhaupt nicht, was ich jetzt schon wieder gemacht habe.«
»Du hast etwas sehr Wichtiges gesagt«, erwiderte Mathilda feierlich. »Und dafür hast du die Küsse
echt
verdient. Wenn du sie allerdings nicht willst …«, fuhr sie ein wenig eingeschnappt fort.
»Jetzt hab ich sie ja schon«, fiel Oskar ihr ins Wort, tippte auf seine Wangen und grinste schief.
»Dann gib sie mir eben zurück«, schmollte Mathilda.
»Ts.« Oskar deutete einen Vogel an. »Das könnte dir so passen.«
Mathilda presste die Lippen aufeinander und wandte sich ab. Es war wirklich zum Mäusemelken! Entweder waren die Jungs, die sie besonders in ihr Herz schloss, zu alt … so wie Julius aus der Bohmfelder. Oder sie waren zu jung … so wie Oskar. Dass der sie womöglich auch nicht küssen wollte, wenn er ein oder zwei Jahre älter wäre, mochte Mathilda sich lieber gar nicht erst vorstellen.
»Vielleicht später«, sagte Oskar leise. »Ich möchte es selbst entscheiden.«
Mathilda atmete tief ein und wieder aus. Die Sache war also nicht völlig aussichtslos.
»Okay«, sagte sie. »Das ist in Ordnung.« Sie nickte bekräftigend. »Das ist wirklich total in Ordnung.« Langsam drehtesie sich um und lächelte zaghaft. »Außerdem haben wir im Augenblick ja weiß Gott andere Probleme«, meinte sie achselzuckend.
»Ja«, sagte Oskar. Eigentlich fand er nicht, dass ein Kuss oder auch gleich mehrere davon ein Problem darstellten. Es kam vielmehr darauf an, dass sie zum richtigen Zeitpunkt und vor allem mit beiderseitigem Einverständnis verteilt wurden. »Erzählst du mir jetzt, was ich angeblich so Geniales gesagt habe?«, setzte er fragend hinzu.
»Nicht angeblich, sondern tatsächlich«, erwiderte Mathilda. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, dass Oskar sein Licht ständig unter den Scheffel stellte. Er war viel mutiger und klüger, als er dachte, und es wurde allmählich
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