Bis das der Biss uns scheidet
Mal seit Langem richtig geschlafen haben. »Wenn wir hier einfach so durch die Gegend spazieren, könnten wir wieder der Dämonenpatrouil e über den Weg laufen. Und diesmal wird kein Herkules da sein, um uns aus der Patsche zu helfen.« Er fixiert mich missbil igend. »Du bist kurz davor, eine Audienz bei Hades zu ergattern und deine Schwester zu retten. Wil st du wirklich gerade jetzt das Risiko eingehen, zerstückelt zu werden? Nur damit wir irgendwo zu Abend essen können?«
Ich verkneife mir ein Grinsen; er ist vol drauf reingefal en. »Hey, ich hab seit fast einem Jahr nix mehr gegessen, ohne es gleich wieder von mir zu geben«, erinnere ich ihn.
»Ich werde mir die Gelegenheit, einen Vegi-Burger zu mampfen, ganz bestimmt nicht entgehen lassen.«
Als mein Vater uns darüber informierte, dass in der Unterwelt sogar Vampire richtiges Essen zu sich nehmen können, ist mir klar geworden, dass das der perfekte Vorwand ist, Jareth aus dem Haus und zu seiner Familie zu locken. Er wäre nie und nimmer einverstanden gewesen, wenn ich ihm die Wahrheit gesagt hätte. Doch nachdem Sunny und ich die Hel book-Pinnwand seiner Familie studiert und festgestel t hatten, dass sie nur ungefähr eine Meile von Dad entfernt in der superschnieken Gegend der Elysischen Hügel wohnt, wussten wir, dass ich dieses Familienwiedersehen unbedingt arrangieren muss, solange noch Zeit ist.
» Außerdem haben wir doch sonst nichts vor heute, oder?«, plappere ich weiter. »Dad muss immer noch unser Treffen mit Hades organisieren und solange können wir doch genauso gut genießen, was die elysischen Gefilde uns zu bieten haben. Wie ich höre, hat der Chefkoch in einem Fünf-Sterne-Hotel in Manhattan gekocht, bevor er bei einem tragischen Flambierunfal umgekommen ist.«
Jareth lehnt sich im Bus zurück und starrt aus dem Fenster. »Ja, wird schon nett werden«, räumt er ein. »Ich wil nur nicht, dass du dich ablenken lässt.«
Ich lächele ihn an und weiß seine Fürsorge zu schätzen. Etwa eine Stunde, nachdem er aus dem Haus meines Vaters weggestürmt ist, ist er zurückgekommen und hat sich zigmal entschuldigt. Ich könne nichts dafür und er wol e mir keine Steine in den Weg legen. Von jetzt an sol e sich al es nur noch um Sunny drehen.
Nein, es wird sich ab jetzt nicht al es um Sunny drehen, aber das braucht er jetzt noch nicht zu wissen. Ich will ihn ja nicht gleich wieder verjagen.
Der Bus hält an einer gepflegten, baumge-säumten Straße in einem durch Schranken abgeschirmten Viertel mit riesigen Vil en.
Daneben wirkt das Haus von meinem Dads wie ein Schuppen. Das Gras ist hier so üppig und grün, dass es fast künstlich aussieht, und die Gärten quel en über von exotischen bunten Blumen, wie ich sie noch nie gesehen habe.
»Da sind wir«, sage ich, nehme Jareths Arm und ziehe ihn aus dem Bus. Die Tür schließt sich geräuschlos hinter uns und der Bus fährt weiter. Jareth sieht sich verwirrt um.
»Bist du sicher, dass das die richtige Haltestel e ist?«, fragt er. »Sieht nicht nicht gerade aus wie die Restaurantmeile . . .«
»Vertrau mir«, sage ich und führe ihn die Straße entlang. Wir folgen der Wegbe-schreibung aus Hel book, die Sunny ausge-druckt hat. Unterwegs schaue ich mir die Prachtdomizile, an denen wir vorbeikommen, genauer an. Im Gegensatz zu der Wohnge-gend meines Vaters, wo sich die Häuser wie Bauklötzchen ähneln, sind sie hier al e total verschieden. Unterschiedliche Baustile, unterschiedliche Epochen. Jeder hat sich wohl das Haus gebaut, in dem er sich am wohlsten fühlte, und in dem Stil, der zu seinen Lebzeiten angesagt war. Es gibt mexikanische Ranchhäuser, viktorianische Vil en, Bungalows aus Neuengland und . ..
. . . eine große, alte, protzige Burg ganz am Ende der Sackgasse.
Jareth bleibt wie angewurzelt stehen, als er sie entdeckt, und es fal en ihm fast die Augen aus dem Kopf. »Diese Burg«, stammelt er.
»Sie sieht genauso aus wie . . .« Mit angster-fül ten Augen sieht er mich an. »Du führst mich nicht zum Abendessen aus, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »Nicht direkt.« Ich hake mich bei ihm unter und wil ihn dazu bewegen weiterzugehen, doch er scheint wie erstarrt. »Komm schon«, dränge ich. »Wir sind fast da.«
»Rayne«, sagt er gepresst. »Das hättest du nicht tun sol en.«
»Doch, hätte ich wohl. Schließlich vermisst du deine Schwester seit Jahr und Tag. Wil st du etwa auf diese einmalige Chance verzichten, sie endlich wiederzusehen?«
»Ja . . . ich meine, nein.
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