Bis dass der Tod uns scheidet
in den Flur und ließ mich mit meinen Gedanken, die die vielen Pfade meines verpfuschten Lebens entlangeilten, allein. Ich zählte meine Atemzüge und war gerade bei sieben, als Elsa zurückkam.
In der linken Hand hielt sie ein unförmiges Päckchen aus Packpapier, das mit starkem Klebeband umwickelt war. Sie hielt mir das Ding hin und verschwand, kaum dass ich es in die Hand genommen hatte.
Es wog nur ein paar hundert Gramm, und in einer schmucken Handschrift, bei der man den Eindruck hatte, sie würde zu einer anderen Sprache gehören, stand darauf Leonid Trotter McGill, Apt. 11f .
Ich brauchte mein Taschenmesser, um das Band aufzutrennen. In der Hülle aus Klebeband und Papier fand sich ein Ball aus Zeitungspapier, in dem sich das Medaillon befand, das mir Fawn David geliehen hatte. Das Medaillon war sorgfältig gesäubert und poliert worden. Es gab ein paar Kratzer entlang des Ornaments, wahrscheinlich vom Versuch des Juweliers, es zu öffnen. Ich drückte auf den kleinen Knopf an der Seite, und die Scheibe sprang auf.
Darin fanden sich zu beiden Seiten Fotos. Auf der einen Seite war ein Bild von meinem Bruder Nikita und mir. Auf der anderen Seite befand sich ein lächelndes Paar, meine Mutter und Tolstoy – auch bekannt als William Williams.
Ich besah mir die Fotos, war betäubt und dumm. Mein Vater hatte noch Jahre nach dem Zeitpunkt, als ich ihn für tot gehalten hatte und seine Frau aus Kummer um ihn eingegangen war, gelebt.
Vielleicht lebte er noch immer.
Mein Handy klingelte. Es war eine Erleichterung, drangehen zu können.
»LT.«
»Ja, Lieutenant?«
»Wir sind ins St. Benedict’s Hospital gefahren, um mit Theodore Chambers zu sprechen. Er hat uns gesagt, seine Schwester hätte ihn zu Tyler geschickt, aber er hätte es nur bis zu Pelham geschafft.«
»Und?«
»Theodore hat Pelham erzählt, er würde beide Schwestern vertreten, Chrystal habe die kompromittierenden Informationen, und Shawna bräuchte Geld. Wir sind zu Arthur Pelhams Haus gefahren und haben ihn gebeten, zu einem kleinen Gespräch mit aufs Revier zu kommen.«
»Was hatte er zu sagen?«
»Er meinte, er müsse sich erst noch was anziehen.«
»Und?«
»Dann hat er sich im Bad eine Kugel durch den Kopf gejagt.«
Ich stand unter Schock. Diese Auskunft hörte sich vollkommen mechanisch an, so als würde das Telefon sprechen, kein Mensch.
»Er hat sich im Bad umgebracht?«, vergewisserte ich mich.
»Schätze, Sie haben da irgendwie recht gehabt. Wir werden morgen mit umfassenden Ermittlungen beginnen.«
Ich versuchte, angesichts dieser Neuigkeiten irgendeine Art von Gefühl aufzubringen: Freude über die Lösung eines Falls, Trauer über den Tod eines Mannes, den seine eigenen Verfehlungen in die Ecke getrieben hatten, Erleichterung, dass die Unannehmlichkeiten nun vorbei waren. Tatsächlich aber fühlte ich nichts. Mein Vater lebte vielleicht noch. Was kümmerte mich da irgendein Anwalt, der sich die Kugel gegeben hatte?
55
Es dauerte drei Wochen, bis ich einen Termin bei Harris Vartan bekam. Erst war er auf Geschäftsreise, dann gab es irgendeinen Notfall. Ich sprach mit Hamisch Oldhan, seinem Assistenten.
»Tut mir leid, Mr. McGill«, erklärte der Assistent des Diplomaten des Verbrechens. »Aber Mr. Vartan hat ausdrücklich darauf bestanden, dass ich Ihnen sage, er denkt ständig an Sie und ruft bei der allerersten Gelegenheit an.«
In der Zwischenzeit besuchte ich Fawn David, vorgeblich, um ihr das Medaillon zurückzugeben, aber eigentlich, um zu schauen, ob ich nicht noch etwas anderes über den Vater herausfinden konnte, den ich abwechselnd vergöttert, verloren, gehasst und dem ich verziehen hatte und der meiner Ansicht nach nun in einem dunklen Spalt irgendwo zwischen Rückkehr und Rache steckte. Ich hatte das Bild von meinem Bruder und mir vorsichtig vom Juwelier entfernen lassen. Fawn liebte das Medaillon und sagte, sie würde es immer tragen.
Ich durchkämmte das Zimmer, in dem mein Vater gelebt hatte, während er auf der anderen Flussseite, in Manhattan, ein Leben als Verbrecher führte. Es gab keine weiteren Hinweise. Er war nirgendwo im Netz zu finden, auch in keiner der wohl ein Dutzend Bibliotheken, die ich durchforstete.
Elsa brachte Gordo heim in seine Wohnung oben in dem Gebäude, von dem keiner wusste, dass es in Wahrheit ihm gehörte. Katrina bereitete üppige Mahlzeiten und lächelte jeden Tag mehr. Nur die Tatsache, dass sie zu viel trank, verriet, dass da noch etwas in ihrem Leben nicht geklärt
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