Bis einer stirbt
geblutet wie befürchtet. Nina, die ich inzwischen fast vergessen hatte, tupfte mir etwas Blut mit einem Stofftaschentuch fort.
Sie machte ein Gesicht, als täte ihr alles furchtbar leid. Aber darauf fiel ich nicht mehr rein, schlieÃlich war ich nicht blöd. Vorsichtig streifte ich meine Jacke wieder über. Ich sah, dass Ninas Taschentuch die gleichen Initialen hatte wie das Tuch, mit dem Pit betäubt worden war: HGH  12.
»Was ist das denn?«, fragte ich verblüfft.
»Ich hab ein paar Jahre in einem Heim gewohnt«, sagte Nina, sofort Morgenluft witternd, weil ich wieder mit ihr redete. »Hans Gerdes-Heim. Jeder da hatte eine Nummer, meine war die Zwölf. Alles, was man hatte, wurde damit ausgezeichnet. Ein paar Taschentücher hab ich noch immer. So eine Art Andenken. Damit ich mich immer dran erinnere, wie beschissen es da war.«
»Hat Fred vielleicht auch welche davon?«, fragte ich.
»Schon möglich. Ich hab ja ein paar Nächte bei ihm gepennt. Warum?«
»Nicht wichtig«, sagte ich und lieà sie wieder links liegen. Wenn ich ihr länger als eine halbe Sekunde ins Gesicht sah, packte mich die blanke Wut. Ich hatte Angst, dass ich ihr die Augen auskratzen könnte. Eine solche Schlange hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
»Was hast du bisher versucht«, wandte sich Nils an Pit, »um hier rauszukommen?«
»Alles.« Pit setzte sich auf. »Es gibt keinen Weg raus.«
»Doch«, sagte Nils bestimmt. »Einen gibt es mit Sicherheit.« Fragend sahen wir ihn an.
»Der, durch den wir auch reingekommen sind«, meinte er und stand auf, um die Steinplatte noch mal näher unter die Lupe zu nehmen.
»Zu schwer«, sagte Pit sicher. »Das Ding kriegen wir nie im Leben hoch.«
»Wir müssen es versuchen«, schaltete sich unerwartet Nina ein. »Nils hat Recht. Es ist unsere einzige Chance. Dass Fred uns hier wieder rausholt, können wir knicken.«
SchlieÃlich machten wir uns an die Arbeit.
»Das erste Stück ist das schwerste«, sagte Nils. »Wenn wir das erst geschafft haben, geht der Rest auch.«
Fakt war, dass wir die Platte zuerst ungefähr fünfzehn Zentimeter anheben mussten, bevor wir sie zur Seite schieben konnten. Ich konnte dabei natürlich nur einen Arm benutzen und auch Pit war nicht gerade in der Form seines Lebens. Trotzdem schafften wir es mit vereinten Kräften, die Platte ein Stück anzuheben. Aber es reichte bei Weitem nicht. Mit leisem Krachen fiel sie zurück.
»Wir müssen es schaffen«, sagte Nils. »Sonst sind wir erledigt.«
Wir versuchten es ein zweites Mal, wieder nichts. Völlig entmutigt lieÃen wir uns auf den Boden sinken.
»Hab ich es nicht gesagt?«, meinte Pit trocken. »Hier raus gibt es keinen Weg.«
»Natürlich gibt es den«, entgegnete Nils und dachte darüber nach, welcher das sein könnte. »Vielleicht ist Remmers uns doch gefolgt.«
»Der Bulle?«, fragte Nina und schüttelte trüb den Kopf. »Keine Chance. Das hätte ich auf jeden Fall gesehen. Ich hatte alles hinter uns im Blick.«
»Ja dann.« Nils sprang wieder auf. Er war schier unermüdlich. »Dann gibt es nur eins. Versuchen wir es weiter.«
»Aber das ist doch zwecklos«, jammerte Pit. Er war total erschöpft.
Nils setzte sich wieder, nachdem er noch einmal kurz und erfolglos versucht hatte, die Platte anzuheben. Ich rutschte ein Stück zu ihm rüber und legte den Kopf auf seine Schulter.
»Ich glaub, das warâs«, sagte ich leise. »Wir werden sterben, ganz sicher.«
»Das glaube ich auch.« Diese Worte ausgerechnet aus Nilsâ Mund gaben mir den Rest. Dann fügte er hinzu: »Aber frühestens in sechzig Jahren.«
Das sollte aufmunternd klingen, aber irgendwie tat es das überhaupt nicht.
19
»Seid mal ruhig!«, flüsterte plötzlich Nils und presste sein Ohr gegen die Steinplatte. Ich schätzte, dass mindestens eine Stunde vergangen war, auch wenn mein Zeitgefühl kaum noch existierte.
»Da oben ist irgendwer«, sagte Nils. »Ich hör es ganz deutlich.« »Wer wohl?«, fragte Pit genervt. »Fred natürlich.«
In Ninas Augen trat ein Glitzern.
»Und wenn schon?«, fragte Nils. »Dann müssen wir ihn eben dazu bringen, die Platte noch mal zur Seite zu schieben. Solange nur er da ist, ist er unsere einzige Chance.«
Er fing
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