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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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auch so was wie Enttäuschung hinzu.
    Wie sich später herausstellte, war die Halle zwar verlassen, aber es schien klar, dass dort mehrere Menschen über einen längeren Zeitraum gehaust hatten. Man hatte Essensreste und jede Menge voller und leerer Flaschen gefunden. Der Boden war mit Zigarettenkippen übersät gewesen. In entlegenen Winkeln der Halle war man auf Schlafstellen gestoßen. Dabei waren die Polizisten sich einig, dass alles nach einem überhasteten Aufbruch aussah. Das passte natürlich zu dem Verdacht, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang geben musste zwischen dem Leichenfund und dieser merkwürdigen Unterkunft.
    Nils und ich durften nicht hinein, um der Spurensicherung nicht in die Quere zu kommen. Aber Marlena schilderte uns später alles so haargenau, dass ich noch heute das Gefühl habe, ich hätte es selbst gesehen. Manchmal glaube ich sogar, den Geruch der feuchten Lagerhalle in der Nase zu haben, obwohl ich nie dort gewesen bin.
    Mehrere Blutspuren wurden gefunden. Später stellte das Labor zweifelsfrei fest, dass das Blut von dem Toten im Hafen stammte. Todesursache waren innere Verletzungen als Folge zahlreicher Schläge und Tritte gegen Kopf, Gesicht und Körper.
    »Ich bin wahrlich kein Greenhorn mehr«, meinte Marlena am nächsten Tag, als sie die Leiche noch einmal gesehen hatte. »Und im Laufe der Jahre musste ich leider so manchen Toten sehen. Aber der hier ist wirklich sehr übel zugerichtet.«
    Die Pathologen waren zu dem Schluss gekommen, dass der Mann unmittelbar nach seinem Tod in ein Stück Plastikfolie gewickelt und ins Wasser geworfen worden war. Danach konnte es nicht lange gedauert haben, bis die beiden Alten ihn im Hafenbecken hatten treiben sehen. Hätten sie hören können, vielleicht wären sie sogar noch auf die Täter aufmerksam geworden. Aber das war natürlich reine Spekulation.
    »Unterm Strich«, sagte Marlena, »gehen wir davon aus, dass zwischen Tod und Bergung der Leiche weniger als eine Stunde vergangen ist.«
    Nur ganz langsam wurde mir klar, wie nah Nils und ich am Geschehen dran gewesen waren. Allein bei dem Gedanken jagten mir kalte Schauer über den Rücken.
    Die Identität des Toten konnte zunächst nicht geklärt werden, da keine aktuelle Vermisstenanzeige aus unserer Gegend vorlag, die auf ihn gepasst hätte. Beim Alter legte man sich auf achtzehn bis zwanzig Jahre fest.
    »Natürlich werden bundesweit viele Männer in diesem Alter vermisst«, sagte Marlena. »Aber bis wir alle Meldungen, alt und neu, abgeglichen haben, wird viel kostbare Zeit vergangen sein.«
    »Warum bringt ihr kein Foto von ihm in die Medien?«, fragte Nils. »Oder sieht er zu schlimm aus?«
    Marlena nickte deprimiert. »Wir werden mit Hilfe der Gerichtsmedizin ein Phantombild am Computer herstellen lassen. Das geben wir an Presse und Fernsehen.«

10
    Am Tag, nachdem die Leiche gefunden worden war, also am Sonntag, ging ich vormittags zu meiner Mutter in den Supermarkt. Sie arbeitete in einem dieser riesengroßen Geschäfte mit unendlich vielen Kassen. Alles wirkte wie an einem ganz normalen Wochentag. Es war proppenvoll, die Angestellten hatten massig zu tun.
    Als ich meine Mutter von Weitem sah, ganz vertieft in ihre Arbeit, hatte ich plötzlich ein schlechtes Gewissen. Als ob sie nicht genug Ärger und Kummer in ihrem Leben hatte, musste ich noch einen draufsetzen und von zu Hause abhauen. Langsam schlich ich auf sie zu, aber sie schaute gar nicht hoch.
    In ungefähr zehn Metern Entfernung blieb ich stehen und beobachtete sie. Sie war total konzentriert auf Waren, Geld, Kreditkarten und ihre geschäftsmäßige Freundlichkeit.
    Obwohl sie ordentlich geschminkt war, sah sie alt aus und ihre Gesichtshaut wirkte grünlich in der künstlichen Beleuchtung. Plötzlich tippte mir im Vorbeieilen jemand auf die Schulter.
    »Hallo, Klara. Du willst sicher zu deiner Mutter.«
    Es war Frau Klages, eine Kollegin meiner Mutter. Sie sagte Bescheid und löste sie gleich ab. Meine Mutter schaute zu mir herüber und ich glaubte, ein Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen. Vorsichtig winkte ich ihr zu. Sie holte meine Schultasche unter dem Kassentresen hervor und kam zu mir.
    »Die brauchst du ja wohl«, sagte sie, ohne mich anzusehen. »Ich hab eine Viertelstunde. Lass uns in der Cafeteria etwas trinken.« Sie gab mir die Tasche.
    »Weißt du, dass Pit letzte Nacht auch nicht nach Hause gekommen ist?«, fragte sie mich, nachdem wir uns an einen der angegilbten weißen Plastiktische gesetzt

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