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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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erwarten zur Zeit keinen Gewinn von dir. Aber wir werden natürlich auch kein Geld investieren. Wenn einer von euch verhaftet werden sollte, müssen alle Spuren, die zur Organisation führen, unkenntlich sein. Dein Job ist es jetzt, das Risiko so gering wie möglich zu halten. Kapiert?«
    »Klar.«
    »Gut, das ist fürs Erste genug. Punkt zwanzig Uhr rufst du wieder an, für neue Instruktionen.«
    »In Ordnung«, sagt er und rückt endlich mit dem längst überfälligen Teil der Meldung heraus: »Die Bullen haben die Leiche schon gefunden. Gleich gestern Abend.«
    Am anderen Ende der Leitung herrscht Schweigen.
    »Hab keine Ahnung, wie das so schnell gehen konnte. Wir haben sie ganz sorgfältig versenkt.«
    Das Schweigen hält an. Er wagt kaum zu atmen. Bevor sie auflegt, sagt die »Stimme« nur ein einziges Wort:
    »Vollidiot!«

11
    Zwei Tage später wollte ich nach der Schule meine Mutter im Supermarkt besuchen. Ich war gerade durch die vollautomatische Tür gekommen, als mein Handy klingelte. Auf dem Display sah ich, dass es Pit war. Die Sorge um ihn war in den letzten achtundvierzig Stunden immer größer geworden. Kein Mensch hatte irgendetwas von ihm gehört oder gesehen. Auch die Suchaktion der Polizei hatte zu nichts geführt. Er war spurlos verschwunden.
    Ich hatte bei Benjamin angerufen, seinem ehemals besten Kumpel, der mir aber nur erklärte, er habe schon ewig nichts von meinem Bruder gehört oder gesehen. Auch in der Schule war er nicht aufgetaucht.
    Ich nahm den Anruf entgegen. »Pit, endlich! Wo steckst du denn, verdammt?« Während ich redete, ging ich langsam weiter. Ich kam am Stand mit den griechischen Spezialitäten vorbei, dann an der Bäckertheke.
    »Hör zu«, sagte Pit. Es kam mir vor, als hätte ich seine Stimme seit Monaten nicht mehr gehört. Sie klang fremd und vertraut zugleich. »Ich kann jetzt nicht lange reden.«
    »Dann schieß endlich los!«, forderte ich. »Wo bist du?«
    Die Verbindung wurde schlecht. Vor dem Zeitungsstand blieb ich stehen, um ihn besser hören zu können.
    »Ich bin …«, sagte er. »Können wir … Vormittag treffen?«
    »Wo bist du?«, rief ich ins Telefon. »Ich versteh nur die Hälfte. Wo willst du dich mit mir treffen? Und wann?«
    »… Uhr. Bei Röd … Werft am …fen. Okay?«
    Aus, vorbei. Das Gespräch war weg, Pit löste sich wieder im Nichts auf.
    Ich hätte heulen können vor Wut. Auf mich, auf Pit, auf diese ganze blöde Technik, die immer dann versagte, wenn man sie mal wirklich brauchte. Ich versuchte mir die Wortfetzen, die ich verstanden hatte, genau einzuprägen. Schließlich holte ich einen Kuli aus meiner Tasche und notierte, was ich erinnerte. »… Vormittag treffen? … Uhr. Bei Röd … Werft am …fen …« Viel war das nicht. Ich versuchte mir einen Reim darauf zu machen: Vormittags bei Röder. Offenbar eine Werft am Hafen. Zwar war der Hafen groß und ich kannte keine Werft, die »Röder« hieß, aber so etwas ließ sich bestimmt leicht rausfinden. Zum Beispiel über Nils. Der kannte sich im Hafengebiet ganz gut aus.
    Nur der Zeitpunkt des vorgeschlagenen Treffens ließ sich wohl kaum rausfinden. Ich hatte weder Datum noch Uhrzeit mitbekommen. Gedankenverloren überflog ich die Schlagzeilen der Zeitungen im Verkaufsständer. Während ich beschloss, meiner Mutter eine von allem Elend gereinigte Version von Pits Anruf aufzutischen, blieb mein Blick an einem Foto hängen. Es war die Rekonstruktion eines Gesichts.
    »Der Tote aus dem Hafenbecken«, stand neben dem Bild. »Wer kennt diesen Mann? Er ist ungefähr achtzehn bis zwanzig Jahre alt. An der linken Hand hat er eine kleine Tätowierung in Form einer Schildkröte.«
    Eine Schildkröte. Irgendwo hatte ich schon mal so eine Tätowierung gesehen. Aber wo? Die letzten Tage waren so voller neuer Eindrücke und Bilder gewesen, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich zu erinnern. Vielleicht hatte ja am Hafen unter der Plane eine Hand des Toten vorgelugt, die ich gesehen hatte? Schließlich gab ich mich mit dieser Erklärung zufrieden, warf einen letzten Blick auf das Foto des Toten und ging weiter.
    Meine Mutter wartete schon in der Cafeteria. Sie saß am gleichen Tisch wie sonntags. Schon von Weitem erschrak ich. Ihr Gesicht war kalkweiß, müde stützte sie die Ellenbogen auf die Tischplatte. Ganz in sich versunken rauchte sie eine Zigarette. Als ich näher kam, sah ich, dass ihre Augen stark gerötet waren. Sie sah aus, als hätte sie mehrere Nächte lang kein Auge

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