Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Gesicht, den ich auf Ende vierzig schätzte. Der andere war jünger, Mitte zwanzig, ziemlich schlank und sportlich.
»John Chandler?«, fragte der Ältere, während er aus dem Wagen stieg und mir ins Gesicht leuchtete.
»Ja«, antwortete ich und schirmte meine Augen vor dem Licht ab.
»Ich bin Sergeant Boon«, sagte er, während er auf mich zukam. »Und das ist PC Gorman«, fügte er in Richtung seines Kollegen nickend hinzu. »Sie haben gemeldet, dass hier eine Leiche liegt?«
Ich nickte und erinnerte mich daran, irgendwann erklären zu müssen, dass Chandler nicht mein richtiger Name war. Boon war jetzt vor mir stehen geblieben und glotzte mir teilnahmslos in die Augen.
»Alles okay?«
»Nicht wirklich.«
Er nickte wissend. »Wo ist sie also, die Leiche?«
»Im Bunker.«
Er warf einen Blick hinter mich in Richtung des Baus, dann hob er den Arm und leuchtete die Umgebung mit seiner Taschenlampe ab. »Im Bunker, sagen Sie?«
»Ja, genau. Ich hab sie durch – «
»Sind Sie allein, Mr Chandler?«
Ich sah ihn an. »Ja.«
»Niemand ist bei Ihnen?«
»Nein, ich bin allein.«
»Haben Sie noch irgendwen in der Gegend gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Gut«, sagte er und warf einen kurzen Blick zu Gorman rüber. »Dann wollen wir mal nachschauen.«
Als sich die zwei zum Bunker aufmachten und ich ihnen folgte, drehte sich Boon noch mal um und sagte: »Sie bleiben hier, verstanden?«
Er wartete, dass ich stehen blieb, ehe er den Blick abwandte und weiterging. Ich stand da und schaute zu, wie sie sich dem Bunker näherten. Sie gingen mit der selbstsicheren Vorsicht von Polizeibeamten – dicht nebeneinander, den Boden vor sich mit ihren Taschenlampen ableuchtend, in ständiger Alarmbereitschaft. Als sie den Bunker erreichten, ließ Boon zur Kontrolle das Licht noch einmal über den Strand gleiten, dann drehte er sich zu Gorman um und sagte: »Schau du auf der anderen Seite nach, Phil.«
Als Gorman hinter dem Bunker verschwand, beobachtete ich, wie sich Boon bückte und mit der Taschenlampe durch die Schießscharte leuchtete. Ich malte mir aus, wie der Strahl hinab in die Dunkelheit glitt, und plötzlich tauchte in mir wieder das Bild von Chelseys misshandeltem Körper auf, wie er auf dem kalten Steinboden lag … ihre leblosen Augen, ihr ramponiertes Gesicht, ihre geraubte Anmut …
Es war verkehrt.
Niemand sollte so sterben müssen.
Nicht so …
»Mr Chandler?«
Als ich die Stimme hörte, blickte ich auf und sah, wie Boon mich zum Bunker herüberwinkte. Gorman stand neben ihm und keiner wirkte allzu betroffen. Falls sie der Anblick von Chelseys Leiche schockiert hatte, zeigten sie es zumindest nicht. Vielleicht hatten sie tatsächlich schon alles gesehen, überlegte ich, während ich zum Bunker hinüberging. Aber irgendwas an der Art, wie sie schauten, sagte mir, dass mehr dahintersteckte.
»Also, Mr Chandler«, sagte Boon, als ich vor ihnen stehen blieb. »Was soll das Ganze?«
»Was?«
»Wie viel haben Sie heute Abend getrunken?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Wie viel ?«
»Ziemlich viel«, gab ich zu und fragte mich, was los war. »Aber ich verstehe immer noch nicht – «
»Haben Sie auch noch was anderes genommen?«
»Was meinen Sie?«
»Sie wissen genau, was ich meine.« Er starrte mir in die Augen. »Was ist es? Koks, Heroin?«
»Verdammte Scheiße, was ist los mit Ihnen?«, fragte ich und verlor plötzlich die Geduld. »Da drinnen liegt ein totes Mädchen, verflucht noch mal. Ein ermordetes Mädchen. Und Sie stehen hier rum und stellen mir irgendwelche lächerlichen, absurden Fragen – «
»Wie sieht das Mädchen aus?«
»Was ist?«
»Beschreiben Sie sie.«
»Verdammte Scheiße, Sie haben sie doch gesehen! Sie wissen doch, wie sie aussieht.«
»Okay, John«, sagte Boon ruhig und trat näher an mich heran. »Lassen Sie’s uns friedlich angehen, ja? Kein Grund zur Aufregung.«
»Ich rege mich nicht – «
»Okay, das reicht«, sagte er entschlossen, packte mich am Arm und beugte sich vor, um mir in die Augen zu starren. »So, und jetzt zum letzten Mal, verdammt: Wie hat das Mädchen ausgesehen?«
Ich verstand das alles überhaupt nicht und für einen kurzen Moment überlegte ich ernsthaft, ob ich so viel getrunken hatte, dass ich irgendwann bewusstlos geworden war und etwas verpasst hatte. Doch es schien zu verwirrend, darüber nachzudenken, und im Moment hatte ich genug Mühe damit,ihr Spiel mitzuspielen, zu tun, was sie sagten, und abzuwarten, was
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