Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
dass ich wegen der Öffnung sowohl recht als auch unrechthatte. Sie war noch da – aber sie war nicht enger als in meiner Erinnerung, sondern ehrlich gesagt sogar größer. Der angehäufte Sand war bis nach unten hin weggeräumt worden, sodass der Eingang nicht mehr verschüttet lag. Und er war auch nicht mehr einfach eine Öffnung in der Wand – eine Tür war eingepasst worden. Eine solide schwarze Eisentür. Wohl eine Maßnahme zum Schutz von öffentlicher Sicherheit und Gesundheit, dachte ich mir. Um die Sünder abzuhalten – die jugendlichen Trinker, die Vandalen, die Liebenden … und die neugierigen zehnjährigen Jungs.
Ich war mir ziemlich sicher, dass die Tür abgeschlossen sein würde, sie sah ganz danach aus … Trotzdem schritt ich vorsichtig die Treppe hinunter, nur um sicherzugehen. Stufe um Stufe, mit der Hand an der Wand und die Taschenlampe auf meine Füße gerichtet … Jetzt konnte ich es riechen. Die feuchte Luft, den Uringestank … den Geruch des Bunkers. Zumindest glaubte ich, ihn riechen zu können. Aber vielleicht war es auch nur eine sensorische Erinnerung.
Wie erwartet war die Tür fest verschlossen. Sie besaß keinen Griff und auch sonst nichts zum Festhalten … und als ich in das Schlüsselloch hineinleuchtete, sah ich, dass jeder Versuch, das Schloss zu knacken, sinnlos wäre. Ein einigermaßen geübter Türknacker hätte es vielleicht geschafft, doch ich selbst wäre sogar in stocknüchternem Zustand niemals dazu in der Lage gewesen.
Ich drehte mich um und ging wieder die Treppe hoch.
Es regnete jetzt ziemlich heftig und der Wind wurde immer stärker. Ich wusste, dass ich mich besser auf den Rückweg machen sollte. Doch ich war entschlossen, wenigstens einen Blick in den Bunker zu werfen, bevor ich ging. Nur um zu sehen …
Ich weiß nicht, was.
Wahrscheinlich einfach nur, um zu sehen.
Ich ging um den Bunker herum, weil ich wusste, dass es auf der anderen Seite eine Schießscharte im Mauerwerkgab. Sie war höchstens einen halben Meter breit und knapp fünfzehn Zentimeter tief und befand sich relativ weit unten in der Wand, was es schwierig machte, hindurchzugucken. Doch als ich in die Hocke ging und mich ein wenig vorbeugte, klappte es einigermaßen. Als Erstes entdeckte ich eine weitere Maßnahme zum Schutz von öffentlicher Sicherheit und Gesundheit: In den Schlitz war ein Eisengitter eingesetzt worden. Ich verstand zwar nicht recht, wozu das gut sein sollte, denn der Schlitz war derart schmal, dass sich sowieso niemand hätte hindurchzwängen können. Einen Moment lang dachte ich, vielleicht sollte das Gitter Leute davon abhalten, Müll in den Bunker zu werfen … Doch als ich mich dichter heranbeugte und mit der Taschenlampe durch das Gitter leuchtete, hörte ich ganz auf zu denken.
Da drinnen war etwas …
Etwas … nein, jemand …
Auf dem Boden.
Ich wischte mir den Regen aus dem Gesicht, rieb mir die Augen und versuchte mir einzureden, ich sähe Gespenster – ich war betrunken, ich war zugedröhnt … ich halluzinierte … mein Kopf war durcheinander von lauter verworrenen Erinnerungen –, aber ich wusste ohne jeden Zweifel, dass es keine Täuschung war. Die Gestalt, die in der Dunkelheit auf dem kalten Steinboden lag, war nur allzu real.
Es war ein Mädchen, ein junges Mädchen. Sie lag merkwürdig verdreht da, halb auf der Seite, halb auf dem Rücken, den Kopf in einem unnatürlichen Winkel nach hinten geneigt. Seitlich auf dem Gesicht war eine hässliche rote Schwellung und um die Kehle herum ein heftiger Bluterguss. Die blassblauen Augen standen offen, starrten leblos zur Seite, und das Mädchen trug dieselben Sachen, die es am Morgen angehabt hatte – eine schwarze Daunenjacke über einem weiten weißen Kapuzenshirt, einen kurzen Jeansrock und eine hautenge schwarze Hose.
Es war das amerikanische Mädchen, Chelsey Swalenski.Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, schockiert und reglos, und einfach nur ungläubig ihren misshandelten Körper anstarrte … der Anblick löschte alles aus. Jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede Empfindung … alles starb in mir ab. Ich konnte nicht denken, nicht Luft holen, kein Geräusch von mir geben. Ich schaute einfach nur hinab in dieses einsame Dunkel, starrte in diese toten blauen Augen und erinnerte mich daran, wie lebendig sie gewesen war, als ich sie zuletzt gesehen hatte – sie war über den Hotelparkplatz gelaufen, hatte einen Blick über die Schulter geworfen, mir kurz zugewinkt und gelächelt …
Und jetzt
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