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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Bunker setzte, würde mir etwas Schlimmes passieren. Natürlich wusste ich damals schon, dass das absurd war – wie sollte es einen kausalen Zusammenhang geben zwischen dem Sitzen auf dem Bunker und etwas Schlimmem, das mir womöglich widerfuhr? –, aber das änderte nichts.
    Ich musste es trotzdem tun.
    Und auch jetzt, nach all den Jahren, hatte sich nichts daran geändert. Als ich an jenem Abend ein wenig schwankend im Regen vor dem Bunker stand, war mir natürlich klar, dass es keine Rolle spielte, ob ich am Tag zuvor auf dem Dach gesessen hatte oder nicht. Ich wusste, wie albern es war, über die Folgen nachzugrübeln, die es haben könnte, ein längst vergessenes Ritual aus der Kindheit missachtet zu haben …
    Aber trotzdem …
    Es gab keinen Grund, dieses abergläubische Ritual jetzt nicht noch einmal durchzuführen.
    Und außerdem , überlegte ich, während ich auf den Bunker zutrat, schadet es ja nichts.
    Mit dem Rücken zur Mauer stützte ich mich am Rand des Dachs ab und drückte mich schwerfällig hoch.
    Es war ein gutes Gefühl, einfach im Regen dazusitzen und aufs Meer zu schauen. Ich rauchte eine Zigarette, trank ein bisschen Whisky und ließ meine Gedanken schweifen. Ich ertappte mich bei dem Versuch, mich zu erinnern, was ich als Kind hier oben empfunden hatte, und das Erste, was mir wieder einfiel, war ein vages Gefühl von Alleinsein. Ich war natürlich nie wirklich allein gewesen – meine Eltern waren jedes Mal ganz in der Nähe gewesen –, doch wahrscheinlich hatte mir die Vorstellung gefallen, ich wäre allein. Es gab nur mich, wenn ich auf dem Bunker saß, niemand wusste, wo ich war oder was ich tat … und als ich jetzt darüber nachdachte, kam noch ein anderes Gefühl von damals zurück – ein Aufkeimen verbotenen Abenteuers. Was zunächst keinen Sinn ergab. Ich war ein Kind gewesen, ein kleiner Junge, und ich hatte einfach nur auf dem Dach eines Bunkers gesessen – wo lag da das verbotene Abenteuer?
    Doch dann, fast im selben Moment, kehrte alles wieder zurück. Ich hatte nicht einfach nur auf dem Bunker gesessen. Ich war auch hineingegangen. Es gab auf der Rückseite einen Eingang, eine Öffnung in der Wand am unteren Ende einer kurzen Betontreppe. Der Eingang lag halb verborgen im Sand, so wie das gesamte Bauwerk, doch als kleiner Junge hatte ich hindurchgepasst. Ich erinnerte mich, wie ich mit den Füßen voraus hineingerutscht war und wie mein Herz gepocht hatte, wenn ich in das dunkle, feuchte Innere glitt. Es roch dort drinnen nach Urin und manchmal auch nach Scheiße und ich achtete beim Umherschauen immer darauf, nicht irgendwo reinzutreten. Ich weiß nicht, ob ich wirklich verstand, was andere Leute dort drinnen trieben, ich hattenur verstanden, dass ich es nicht wissen sollte. Und das war wohl einer der Gründe, weshalb es so aufregend war. Meistens fand ich dort nur ein paar leere Bierdosen oder vielleicht eine leere Flasche Clan-Dew-Whisky. Aber das Gekritzel an den Wänden konnte ich immer ansehen, die schmutzigen Wörter und groben Zeichnungen. Manchmal fand ich auch ein Stück Kleidung, das zurückgeblieben war – einen Strumpf, eine zerknüllte Unterhose –, und ganz selten erwischte ich auch die zerrissenen Reste eines Pornohefts. Sie waren immer zerrissen, erinnere ich mich, die Seiten in Stücke zerfetzt, und wenn man die nackten Frauen ansehen wollte, musste man die Teile wieder zusammensetzen wie ein Porno-Puzzle. Und das machte das Ganze noch beschämender.
    Trotzdem tat ich es.
    Ich war ein Junge.
    Was hätte ich sonst tun sollen?
    Ich war ein Junge …
    Ich sprang jetzt vom Bunker, taumelte über den Sand, fiel beinahe hin … ich war betrunken. Ein betrunkener Junge. Zeitlos, alterslos. Es war dunkel. Ich zog meine Stiftlampe aus der Tasche und ging auf die Rückseite des Bunkers. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich nicht reinkommen würde – es war schon damals ziemlich eng gewesen, wenn ich mich als Kind hindurchzwängte. Jetzt war ich dreißig Jahre älter, dreißig Jahre schwerer und nach dreißig Jahren wandernden Sands war der Eingang wahrscheinlich noch enger geworden – aber wenn ich es auch physisch nicht schaffen würde, durch die Öffnung zu kommen, musste ich sie doch wenigstens sehen, mir ins Gedächtnis zurückholen, das Gefühl wieder wachrufen, mit den Füßen voraus hineinzurutschen, während mein Kinderherz wild pochte …
    Als ich die Stiftlampe anmachte und den Strahl auf die Stufen zum Eingang richtete, war ich überrascht zu sehen,

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