Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Meer, der Strand … Leben, Tod, alles. Alles bloß ein einziges riesiges Trugbild.«
Aus irgendeinem Grund fand ich das unglaublich lustig, und auch wenn ich nicht weiß, ob ich wirklich laut lachte, lachte ich doch eindeutig in Gedanken, und als ich plötzlich spürte, dass ich nicht allein war, schaute ich auf und sah einen Jungen, der mich vom Fuß der Treppe aus beobachtete. So wie er mich ansah – mit einer Mischung aus Freakshow-Neugier und leichtem Abscheu –, war mir klar, dass ich auf jeden Fall wie ein Verrückter vor mich hingegrinst haben musste.
»Ich wusste doch, dass mit dir was nicht stimmt«, sagte er und verzog verächtlich den Mund.
Es war der Typ aus dem Swan, der jüngere der beiden Brüder. Er trug eine gefütterte Nylonjacke über einem schmuddeligen weißen Jogginganzug, Nike-Basketball-Stiefel und eine Mütze mit Flammenmotiv.
»Du bist Lyle, stimmt’s?«, sagte ich und kam die letzten Stufen herunter.
Er schüttelte den Kopf. »Lyle ist mein Bruder. Ich bin Kyle.«
»Wahrscheinlich passiert dir das andauernd.«
»Was?«
Er hatte ein Handy in der einen Hand und ein Taschenbuch in der andern. Ich schaute mich um und erinnerte mich an den langhaarigen Biker, der am Tag zuvor hier gesessen hatte … auch er hatte ein Handy in der Hand gehabt. Zufall? Das bezweifelte ich.
»Was machst du hier, Kyle?«, fragte ich.
Er grinste abfällig. »Was machst denn du hier?«
»Ich sag dir, was ich mache: Ich frage mich, wieso ständig irgendwer wissen will, was ich mache.«
»Ja?«
Ich nickte. »Gestern war’s der Biker mit den langen Haaren, heute fragst du …« Ich lächelte ihn an. »Wer ist morgen dran mit Wache stehen? Dein Bruder?«
Kyle schüttelte den Kopf. »Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.«
»Natürlich nicht.« Ich zündete eine Zigarette an und warf einen Blick auf das Buch in seiner Hand. »Was liest du da?«
Er schaute kurz auf den Buchdeckel. »Ist von … wie heißt der denn noch?«, sagte er. »Ach, du weißt schon, Illuminati .«
»Und, taugt’s was?«
»Sag du’s mir«, antwortete er grinsend. »Du bist doch der verdammte Bücherexperte.«
Ich warf ihm ein kurzes Lächeln zu und ging weiter, den Strand entlang. »Du kannst sie jetzt anrufen«, rief ich über die Schulter. »Sag ihnen, in ungefähr zehn Minuten bin ich da.«
Kyle wollte etwas antworten, öffnete den Mund und hob halb die Hand, doch entweder überlegte er es sich plötzlich anders oder er konnte sich nicht entscheiden, was er mir sagen sollte. Und ich ließ ihn einfach so stehen – mit offenem Mund und leicht besorgtem Blick.
Ich hatte noch immer keine Ahnung, was mit den Swalenskis passiert war, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie, als sie gestern vom Hotel losgingen, zum Strand wollten. Bryan hatte bestimmt eine gute Stelle gesucht, um Fotos von Seevögeln zu machen, was ein einigermaßen stiller Ort sein musste, wahrscheinlich auf der Ostseite der Insel, vielleicht in der Nähe des Point. Ich wusste, dass Chelsey nie mehr ins Hotel zurückgekehrt war, und ich war mir fast sicher, die Eltern auch nicht, was bedeutete: Wenn es irgendwelche Hinweise darauf gab, was mit ihnen passiert war, dann konnte ich sie nur am Strand finden.
Deshalb nahm ich mir Zeit, zum Bunker zu kommen, spazierte mit gesenktem Kopf und offenen Augen umher, blieb immer mal wieder stehen, um mit dem Fuß ein Stück Treibholz umzudrehen oder irgendwas zwischen den Kieseln genauer anzusehen. Ich wusste, dass ich inzwischen beobachtet wurde. Am Bunker geschah tatsächlich etwas und Kyle diente genau wie vor ihm der langhaarige Biker als Späher, der den Leuten Bescheid gab, wenn jemand kam. Und während ich den Strand entlanglief, sah ich jetzt, dass drei oder vier Gestalten am Bunker herumlungerten und genau beobachteten, was ich tat.
Ich bemühte mich nicht, es zu verbergen.
Denn wer immer sie waren und was immer sie vorhatten, sie waren da … am Bunker. Und das allein reichte, um mich zu überzeugen, dass sie irgendwas mit Chelseys Tod zu tun hatten. Und genau das wollte ich ihnen zeigen. Ich wollte ihnen zeigen, dass ich mir vertraute, dass ich nicht in Zweifel zog, was ich gesehen hatte … Falls sie glaubten, sie müssten sich wegen mir keine Sorgen machen, weil ich bloß irgendein verkrachter Säufer war, wollte ich ihnen ein Zeichen geben, sich das besser noch mal zu überlegen.
Deshalb zeigte ich ihnen, wie ich den Strand absuchte, nach Beweisen Ausschau hielt, und einige Male ließ ich
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