Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
schätzte ihn auf Mitte zwanzig, aber er hatte etwas Altersloses an sich und es hätte mich nicht überrascht, wenn er fünf Jahre älter oder jünger gewesen wäre. Er hatte keine Tätowierungen und trug auch keinen Schmuck, keine Piercings. Seine Kleidung war beinahe konservativ – dunkelgraue Chinos, billige Turnschuhe und eine halbwegs neue schwarze Windjacke. Und auch wenn er etwas zu unauffällig war, um als attraktiv gelten zu können, hatte er nichts Unschönes an sich … außer wenn man ihm in die Augen schaute. Seine Augen waren das Kälteste, was ich je gesehen hatte – kalt, leer, ohne jede Empfindung. Sie saugten einem die Seele aus dem Leib, sie waren die Augen eines Mannes mit totem Herzen.
Ich blieb ein paar Meter vor den vier Männern stehen und zündete mir eine Zigarette an. Sie starrten mich eine Weile an, ohne etwas zu sagen, und während sie sich anstrengten, mir zu zeigen, wie tough sie waren, nutzte ich den Moment für einen Blick Richtung Bunker. Doch wie sich herausstellte, war dort nicht viel zu sehen. Die Tür war zu und von dort, wo ich stand, wirkte das, was ich hinter der Schießscharte sah, wie ein dunkles Nichts. Auf dem Sandboden um den Bunker herum war nichts zu erkennen, es gab keine Hinweise auf das, was die Männer hier taten, und der Bunker selbst wirkte haargenau so wie beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte.
»Suchen Sie was?«, hörte ich einen der Männer sagen, und als ich ihnen wieder meine Aufmerksamkeit zuwandte, sah ich, dass es der Biker mit dem Pferdeschwanz war, der gesprochen hatte. Er hatte einen starken Londoner Akzent, kehlig und heiser, wie nasser Schotter, der aus einem Eimer rutscht.
»Ich suche immer was«, sagte ich und lächelte ihn an. »Sie nicht?«
Er antwortete nicht, sondern starrte mich nur an.
»Ehrlich gesagt«, fuhr ich fort und ging auf ihn zu, »suche ich nach einer Leiche. Einer Mädchenleiche.« Ich hörte, wie Lyle Keane ein leises Schnauben ausstieß, das unterdrückte Kichern eines dämlichen Kindes. Ich ignorierte ihn, blieb vor dem Pferdeschwanz-Biker stehen und sah ihn an. »Wissen Sie irgendwas über das tote Mädchen?«, fragte ich ihn.
Wieder sagte er nichts, sondern starrte mich nur an.
Ich hielt seinem Blick einen Moment lang stand, dann schaute ich zu dem Mann mit dem toten Herzen. Er stand ein paar Schritte hinter dem Pferdeschwanztypen, gleich rechts von ihm. »Was ist mit Ihnen?«, fragte ich. »Wissen Sie irgendwas über den toten Teenager?«
Der mit dem toten Herzen lächelte. »Das ist vielleicht eine Frage, die Sie da stellen.«
Seine Stimme klang weich und locker.
Ich sagte: »Und, kriege ich eine Antwort?«
»Na ja, also«, sagte er und strich sich übers Kinn. »Wollen wir mal sehen. Weiß ich was über einen toten Teenager? Hmm …« Er kniff die Augen zusammen, als würde er nachdenken. »Hat das Mädchen auch einen Namen?«
»Chelsey Swalenski.«
»Swalenski? Was ist das, polnisch?«
»Amerikanisch«, sagte ich und fixierte ihn. »Sie hat im Victoria Hall gewohnt, mit ihren Eltern Bryan und Ruth. Sie kommen aus Dallas.«
»Verstehe«, sagte er kopfnickend. »Sind die auch tot?«
»Sagen Sie’s mir.«
Er lächelte wieder. »Nun, Mr Craine … Sie heißen doch Craine, ja? Oder ist Ihnen Chandler lieber? Aber vielleicht ist es leichter, wenn ich Sie einfach John nenne. Ist das okay, John?« Er sah mich an und wartete auf eine Antwort. Als ich nichts sagte, zuckte er nur mit den Schultern und redete weiter. »Tja, egal … wie war der Name noch mal? Salenski …?«
»Swalenski.«
»Richtig, Swalenski … Swalenski …« Er schüttelte denKopf. »Nein, ich kann nicht behaupten, dass da irgendwas bei mir klingelt.« Er sah mich an. »Wie genau ist es denn gestorben, das Mädchen?«
»Jemand hat ihr das Genick gebrochen«, sagte ich und machte instinktiv einen Schritt auf ihn zu. Der Pferdeschwanztyp streckte den Arm aus und versperrte mir den Weg. Ich starrte ihn an. Er starrte herausfordernd zurück. Ich überlegte einen Moment, mich mit ihm anzulegen, dann trat ich zurück und sah wieder den mit den kalten Augen an. »Jemand hat ihr das Genick gebrochen«, wiederholte ich. »Und danach ihre Leiche in den Bunker geworfen.«
»In den Bunker?«, sagte er und warf einen Blick über die Schulter. »Wie, in den Bunker da?« Er schaute wieder zu mir zurück. »Wann soll das gewesen sein?«
»Gestern, irgendwann nachmittags oder am frühen Abend.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich.«
Er runzelte die
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