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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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nicht weiterzuschauen, um zu wissen, dass es Chelseys Handy war. Wenn das Foto, auf dem ihre Eltern zu sehen waren, noch nicht genügte, so zerstreute das Bild darüber auch noch den letzten Zweifel: Es zeigte Chelsey, wie sie sich selbst fotografierte.
    Ich starrte auf das Bild. Wie bei den meisten Selbstporträts, die mit dem Handy gemacht werden, hatte sie sich bei der Entfernung verschätzt, sodass mindestens ein Drittel ihres Gesichts überhaupt nicht auf dem Foto war. Der Rest des Bildes mochte verwackelt und unscharf sein, dazu ein bisschen verzerrt, aber … nun ja, er hatte trotzdem etwas Perfektes an sich. Es war kein gestelltes, glattes Kunstprodukt, es täuschte nichts vor … Es war nur ein sorglos fotografierter Schnappschuss, der das Wesentliche des Augenblicks einfing: Chelsey am Strand, glücklich, lächelnd, mit geneigtem Kopf und wehenden Haaren …
    Ich berührte den Bildschirm und vergrößerte die Aufnahme.
    Ihre Augen strahlten und waren offen für die Welt.
    Ihr Lächeln war herzerweichend.
    Ich musterte den Hintergrund, versuchte herauszufinden, wo das Bild aufgenommen worden war, doch ich erkannte nur ein verschwommenes Kieselgrau, das in ein etwas blasseres verschwommenes Himmelsgrau überging. Über das Menü rief ich die Details zu dem Bild auf und erfuhr, dass es am 30. Oktober um 14.28 Uhr gemacht worden war.
    Samstagnachmittag.
    Gestern Nachmittag.
    Es schien ein Leben lang her.
    Ich ging wieder aufs Hauptbild zurück und schaute die anderen Fotos durch. Auf den ersten Blick wirkten sie nicht besonders interessant, bloß zufällige Schnappschüsse von Meer und Strand und ein paar Nahaufnahmen, die wie versehentlich entstanden schienen … doch dann, als icheines der verschwommenen Bilder noch einmal betrachtete, merkte ich, dass es eine Hand zeigte. Es war eine große Hand, vernarbt und schmutzig … der Kamera entgegengestreckt.
    »Scheiße«, sagte ich.
    Das Wort FUCK war derb auf die Finger der ausgestreckten Hand tätowiert.
    Die nächste Stunde verbrachte ich damit, alle Fotos zu untersuchen, die Chelsey an diesem Tag am Strand gemacht hatte. Indem ich den Zeitpunkt notierte, wann das jeweilige Bild aufgenommen wurde, indem ich Foto um Foto immer wieder betrachtete und jedes noch so kleine Detail heranzoomte, gelang es mir schließlich, einen fragmentarischen Ablauf der Ereignisse rund um Chelseys Tod zu rekonstruieren. Vieles dabei war natürlich reine Vermutung – ich füllte die Lücken zwischen den Aufnahmen und stellte mir vor, was außerhalb des Bildschirms passiert sein mochte. Außerdem waren die meisten entscheidenden Fotos – die letzten acht auf der Kamera – in Eile gemacht worden und daher so verschwommen und zittrig, dass sich nur schwer erkennen ließ, was tatsächlich geschehen war. Aber trotzdem …
    Jedes Bild, auch wenn es verschwommen ist, erzählt eine Geschichte.
    Und die hier musste Chelseys sein.
    Sie hatte das Hotel zwischen 8.30 und 9.00 Uhr mit ihren Eltern verlassen und die drei waren ins Dorf gegangen, wo Chelsey um 9.44 ihre Mum und ihren Dad zusammen vor der Tür eines malerischen kleinen Antiquitätenladens namens Hale and Hearty fotografierte. Sie waren eine Weile im Dorf geblieben, ein paar Stunden vielleicht, danach waren sie Richtung Strand gegangen, hatten sich aber noch eine Zeit lang in dem kleinen Park aufgehalten, wo Chelsey einenSchnappschuss von ihrem Vater machte – auf dem Bild steht er am Rand der Wiese, schaut hinaus aufs Meer und macht Fotos mit einem Teleobjektiv. Um 12.51 Uhr hatten sie den Park verlassen und waren am Strand. Doch sie waren nicht weit gegangen, denn auf dem nächsten Bild – Chelseys Dad hockt geduckt im Ginster und späht über die Salzmarsch – war die Wiese im Hintergrund noch deutlich sichtbar. Das folgende Foto – das mit beiden Eltern am Strand – war um 14.26 Uhr aufgenommen worden, und auch wenn die Bilder nicht zeigten, was in den vorherigen fünfundneunzig Minuten passiert war, nahm ich doch an, dass die Swalenskis entweder ein Lunchpaket mitgenommen oder im Dorf etwas zu essen gekauft hatten, um sich irgendwo am Strand zu einem gemütlichen Picknick niederzulassen – mit Sandwiches und Chips, vielleicht auch Bagels oder Kuchen, was immer eine Familie aus Texas in ihren Ferien im Südosten von England aß.
    Als Nächstes kam Chelseys Selbstporträt und danach, um 15.53 Uhr, ein weiteres Foto von ihr, das von einem Elternteil aufgenommen sein musste, vermutlich von ihrer Mutter. Es zeigte die

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