Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
ganze Chelsey, wie sie neben einem kleinen Gestrüpp am Rand der Salzmarsch steht. Im Hintergrund des Bildes sah ich den Weg am Bach, und auch wenn ich den genauen Ort nicht ausmachen konnte, schien mir doch ziemlich sicher, dass die Swalenskis inzwischen etwa die Hälfte des Strandes hinter sich gebracht haben mussten.
Um 16.27 Uhr jedoch – der Zeit des nächsten Fotos – waren sie eindeutig in Sichtweite des Bunkers. Es war klar zu erkennen, dass sich Chelsey für dieses Foto viel Zeit genommen hatte, denn es war mit Abstand das vollkommenste. Einerseits zeigte es, wie gut sie fotografieren konnte, wenn sie wollte, andererseits führte es vor Augen, wie sehr sie ihren Vater liebte und bewunderte. Es war ein Porträt des Vaters, wie er ausgestreckt im Sand lag und die Kameraaufs Meer richtete. Der Bildausschnitt war perfekt auf sein Gesicht ausgerichtet. Es zeigte die Intensität und Konzentration, mit der er arbeitete – wie er den Regen ignorierte, der inzwischen niederprasselte, und wie ruhig und geduldig er auf den richtigen Moment für das beste Foto wartete. Seine Leidenschaft für das, was er tat, war ebenso deutlich zu erkennen wie seine große Erfahrung. Chelsey musste unglaublich stolz auf ihn sein, nicht nur als Vater, sondern auch als Künstler. Ihre Mutter war ebenfalls im Bild. Sie saß mit verschränkten Beinen im Hintergrund und hatte die Kapuze ihres Regencapes über den Kopf gezogen, aber weil der Fokus auf dem Gesicht des Vaters lag, war die Mutter unscharf und verschwommen. Der Bunker hinter ihr war noch unschärfer, weshalb ich schwer sagen konnte, wie weit entfernt er noch war, doch es mussten gut und gerne dreißig Meter sein.
Zweiundzwanzig Minuten nachdem sie das Bild von ihrem Vater gemacht hatte, fotografierte Chelsey zum ersten Mal den Fischkutter. Es war unmöglich festzustellen, ob sie in der Zwischenzeit ihren Standort gewechselt hatte, doch wenn, dann hatte sie sich nach meinem Eindruck zumindest nicht sehr weit entfernt. Der Kutter näherte sich dem Ufer vom Point her, und in dieser ersten Aufnahme war er noch zu weit weg und das Wetter zu schlecht, um irgendwelche Einzelheiten zu erkennen. Aber im nächsten Bild, um 17.01 Uhr, war der Kutter viel näher gekommen. Er hatte draußen ein Stück vor dem Ufer geankert, was wegen der Flut nicht allzu weit weg vom Strand war, und Chelsey hatte außerdem den Zoom benutzt, sodass man trotz einsetzender Dämmerung und obwohl sich der Blitz in der Kamera, soweit ich es beurteilen konnte, nicht eingeschaltet hatte, leicht erkennen konnte, dass der Kutter ein ziemlich verrostetes altes Ding von vielleicht sechs oder sieben Metern Länge war, mit der aufgemalten Registriernummer FS 821 an der Seite. Ich wusste nicht genau, ob es derselbe Kutter war, den ich in denletzten Tagen gesehen hatte, doch er sah sehr ähnlich aus. An Bord waren zwei Personen. Einer von ihnen stand in der Kabine – ein brutal wirkender Typ in dicker schwarzer Jacke und dunkler Wollmütze, den ich noch nie gesehen hatte –, während der andere, in Windjacke und Chinos, an Deck stand und Richtung Strand schaute.
Der mit dem toten Herzen.
Auf den nächsten zwei Aufnahmen war es dunkler, beide waren auf 17.06 Uhr datiert, doch der Kutter war immer noch klar erkennbar, genau wie die drei großen Pakete, die jetzt neben dem mit dem toten Herzen und dem andern Typen übereinandergestapelt lagen. Die Pakete waren in etwa würfelförmig, mit circa dreißig Zentimeter Kantenlänge, und fest in schwarze Plastikfolie verpackt.
Chelsey und ihre Eltern mussten inzwischen begriffen haben, dass der Kutter Drogen brachte, und sie mussten auch wissen, in was für eine gefährliche Lage sie das brachte. Wenn die Männer auf dem Boot sie entdeckten …
»Pass auf, dass sie dich nicht sehen«, mochte Chelseys Vater ihr zugeflüstert haben. »Beweg dich da rüber, hinter die Ginsterbüsche … halt den Kopf unten. Und steck bitte das Handy weg.«
Und Chelsey tut, was er sagt, schiebt sich vorsichtig hinter den Ginster, hält den Kopf unten, damit niemand sie sieht … doch ihr Handy steckt sie nicht weg. Sie stellt es nur auf leise. Vielleicht hat sie ein bisschen Angst und sie weiß natürlich, ihr Vater hat recht, sie sollte wirklich vorsichtig sein, doch sie ist ein Teenager, sie ist abenteuerlustig … und schließlich stößt man nicht jeden Tag auf Schmuggler.
Also behält sie das Handy in der Hand und um 17.11 Uhr, als ihr Vater gerade nicht guckt, macht sie wieder ein
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