Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
etwas vorhatte. Ich versuchte noch immer zu verdauen, was ich gerade gesehen und gehört hatte. Ich hatte keine Ahnung, ob ich etwas unternehmen sollte. Sollte ich Linda ansprechen oder Robyn oder beide, oder einfach nur weiter beobachten und abwarten?
Ich wusste es nicht.
Und ich hatte auch keine Gelegenheit mehr, es herauszufinden.
Als ich die Kabinentür aufschloss, den schmierigen Messingriegel zur Seite schob, schlug die Tür plötzlich zurück,mit voller Wucht in mein Gesicht, und während ich rückwärts gegen den Spülkasten taumelte, sich in meinem Kopf alles drehte und mir Blut aus der Nase strömte, erschien Lyle Keane in der Tür, mit trunkener Wut in den Augen und einem fünfzehn Zentimeter langen Messer in der Hand.
18
Lyle hätte sich Zeit nehmen sollen. Wenn er gewartet hätte, bis ich wieder auf die Beine kam, hätte er nur vortreten und nach Belieben zustechen müssen. In der Enge der Kabine hätte ich keine Chance gehabt. Ich hätte in der Falle gesessen, wehrlos, ein leichtes Ziel … und selbst wenn ich aus der Kabine gekommen wäre, hätte mich das nicht weitergebracht, denn Lyle war nicht allein. Hinter ihm sah ich drei andere Jungs im Jogginganzug, allesamt unter Strom und gierig nach Blut. Aber Lyle war zu betrunken und zu dumm, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Stattdessen stürzte er auf mich zu, als ich halb ausgestreckt, halb sitzend mit dem Rücken zur Wand und den Beinen in der Luft auf der Kloschüssel hing, und reckte das Messer leichtsinnig über den Kopf, sodass ich mich nur zurückbeugen, gegen die Wand stemmen und ihn mit beiden Füßen voll in die Brust rammen musste. Ich erwischte ihn ziemlich hart, und auch wenn ihn der Tritt nicht ernsthaft verletzt haben konnte, reichte er doch aus, um ihn aus der Kabine hinauszubefördern, und sein Taumeln und Nach-Luft-Ringen verschaffte mir wertvolle Sekunden, um auf die Füße zu kommen und mich auf die nächste Attacke vorzubereiten.
Mir war klar, dass meine Chancen schlecht standen, ich hatte wenig Hoffnung, doch wie mal jemand gesagt hat: Niemand will sterben, egal wie groß seine Schmerzen sind oder wie armselig sein Leben ist … wir versuchen alle umjeden Preis, ein, zwei Augenblicke länger zu leben. Und genau das tat ich, ich versuchte einfach, nur noch einen kurzen Moment am Leben zu bleiben.
Lyle war jetzt total außer sich. Ich hatte ihn gedemütigt, ihn vor seinen Freunden als Schwächling erscheinen lassen, und als er wieder mit dem Messer auf mich zukam, lag so viel Verzweiflung in seinem Blick, so viel Zerstörtheit und Hass, dass er mir fast schon leidtat. Doch das hielt mich nicht davon ab, ihm die Klotür in dem Moment vor den Kopf zu donnern, als er wutentbrannt auf mich losstürzte. Und ich zögerte auch nicht, sie ihm gleich ein zweites Mal vor den Kopf zu knallen, als er zu Boden taumelte, und danach noch mal, als er auf die Knie sank … und noch mal, nur zur Sicherheit, als er das Messer fallen ließ und mit dem Gesicht nach unten auf den vollgepissten Boden sackte.
Mitleid konnte ich mir nicht leisten.
Ich bückte mich schnell, schnappte mir das Messer, richtete mich auf und blickte den andern entgegen. Als sie so vor mir standen und mich beinhart anstarrten, dachte ich für einen kurzen Moment, dass ich es vielleicht schaffen könnte. Die Situation war noch immer nicht sonderlich günstig. Sie waren zu dritt, ich allein, sie schienen allesamt ziemlich üble Typen zu sein und offenbar war keiner von ihnen zum Einlenken bereit … Doch immerhin hatte ich jetzt ein Messer und sie nichts. Aber dann fasste der eine mit einem kleinen Grinsen in seine Hose und zog selbst ein Messer heraus und fast im selben Moment taten die andern zwei das Gleiche, und schon war mein einziger Vorteil dahin. Ich warf einen Blick durch den Vorraum, obwohl ich kaum Hoffnung hatte, dort jemand andern zu sehen – und selbst wenn, dann wäre der wohl kaum bereit gewesen, mir zu helfen. Es war auch niemand da, der ganze Toilettenraum war verlassen. Wahrscheinlich hatten Lyle und seine Kumpel beim Reinkommen allen klargemacht, sie sollten sich verpissen, und vermutlich bewachte auch jetzt jemand die Tür, damit niemand reinkam.
Ich schaute erneut auf meine Gegner.
»Hey, Arschloch, du bist allein, Mann«, sagte der Erste.
»Scheint so.«
Er grinste mich an, hob den Arm und richtete sein Messer auf meinen Kopf. »Bist du bereit?«
Scheiße , dachte ich und versuchte mich zu beruhigen. O verdammt …
»Na los, mach schon«,
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