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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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nichts anginge.
    Dass ich nichts damit zu schaffen hätte.
    Aber es ging mich etwas an.
    Ich war ihr Bruder.
    Und ein Bruder passt auf seine Schwester auf, egal, was passiert. Er verzeiht ihr alles.
    Ich hätte nicht vor ihr weglaufen dürfen , sagte ich mir. Ich hätte ihr erklären müssen, wer ich bin und warum ich auf diese Art mit Stevie geredet hatte … ich hätte –
    »… dir helfen sollen, Robyn …«
    Ich erstarrte, hielt den Atem an und horchte, versuchte herauszufinden, ob das unterdrückte Flüstern, das ich gerade gehört hatte, echt war. Es klang jedenfalls echt … es klang wie eine Stimme, die ich kannte, eine Frauenstimme, gedämpft und drängend, ganz nah … aber in meinem Kopf waren viele Stimmen, echte und eingebildete, und falls ich nicht in einem übleren Zustand war, als ich annahm – wenn ich nicht so fertig war, dass ich gar nicht dort war, wo ich zu sein glaubte –, war ich allein in einer Toilettenkabine … allein in einer Toilettenkabine … Das heißt, die Stimme musste aus meinem Kopf gekommen sein.
    Oder?
    Ich schloss die Augen und horchte …
    Ich hörte die vertrauten widerhallenden Geräusche einer Herrentoilette: dröhnende Handtrockner, Männer, die furzten, laut pinkelten, lachten und spuckten, Schleim hochräusperten … und ich hörte auch das gedämpfte Rock-’n’-Roll-Wummern der Blue Hearts, die immer noch spielten, und wie die Musik lauter und leiser wurde, wenn die Toilettentür auf- und zuging …
    »… wo ist Garrow? …«
    Die Stimme war wirklich.
    Sie war ganz nah.
    Ich sah mich in der Kabine um. Sie war so trostlos und primitiv wie jede andere Herrentoilette, die ich in meinem Leben betreten hatte: ein schäbiges weißes Dreckloch, das nach Blähungen und Pisse stank, die Wände vollgekritzelt mit dem Dreck aus Männerhirnen – ein mit Filzstift gezeichneter Penis, der aus seiner Monstereichel ejakuliert, zwei riesige schwarze Hoden … plumpe Vaginas, Telefonnummern, krankhafte Sprüche, wütende Ausstreichungen, kindische Drohungen und Sticheleien …
    »… ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht hilfst …«
    Sie war echt … die Stimme … sie kam durch ein mieses kleines Guckloch in der Zwischenwand zu meiner Rechten. Es war eines dieser Löcher, die man oft in Toilettenwänden sieht – herausgeprokelt von einem krankhaften Schwein und später für gewöhnlich mit zusammengeknülltem Klopapier wieder verstopft … aber dieses hier war nicht verstopft. Es war offen. Ein ausgefranstes Loch in der Wand, weniger als drei Zentimeter im Durchmesser, ein widerlicher kleiner Tunnel in die Damentoilette nebenan. Von dort also kam die Stimme.
    »… ich weiß nicht, wo er steckt …«
    »… was ist mit Stevie? …«
    Stimmen.
    Keine einzelne Stimme, sondern mehrere. Zwei Frauen, die flüsterten. Ich war mir sicher, dass die eine Linda gehörte, die andere war eindeutig Robyns.
    Ich beugte mich vor und drückte mein Ohr vorsichtig gegen die Wand.
    »… der erzählt mir doch gar nichts …«
    »… ich muss es wissen , Robyn … wenn du mir nicht …«
    Das Geflüster wurde immer wieder von anderen, lauteren Hintergrundgeräuschen übertönt – von der Musik, anderen Stimmen, Handtrocknern, Klospülungen –, ich hörte nur unzusammenhängende Fetzen einer Unterhaltung.
    »… okay, ich tu, was ich kann …«
    »… das Ganze … bis Dienstag …«
    Als wieder ein Handtrockner losdröhnte, setzte ich mich auf und versuchte zu begreifen, was hier vorging. Doch ich kam nicht weit. Alles reduzierte sich auf die Frage: Linda und Robyn? Linda und Robyn ? Was auch nicht viel weiterhalf. Ich beugte mich wieder vor, horchte einen Moment an dem Loch und dann – als ich nichts hörte – schluckte ich meine instinktive Scham und Abscheu hinunter und legte ein Auge an das Guckloch.
    Viel sah ich nicht, aber ich konnte erkennen, dass Robyn auf dem Klo saß und Linda vor ihr stand. Es war eindeutig Linda – ich sah es am Kleidmuster –, und so, wie sie da stand und die Hände bewegte, hatte ich das Gefühl, als ob sie mit Robyn ungeduldig wurde. Ungeduldig, aber nicht wütend. Es war eine Ungeduld, die von Sorge gezügelt wurde … vielleicht sogar von Angst.
    »… wenn du ihn siehst …«
    »… ja …«
    »… ruf mich an …«
    »… ja, hör zu … ich muss jetzt …«
    Sie machten sich bereit zu gehen.
    Ich stand auf, warf die Zigarette ins Klo, zog ab und drehte mich wieder zur Tür um. Ich wusste nicht, was ich als Nächstes vorhatte, falls ich überhaupt

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