Bis ich bei dir bin
losging. Jetzt aber ist dem Fenster nichts davon anzusehen.
Als Nina sich in Luft aufgelöst hat, war das so surreal, dass ich mir keine großen Gedanken darüber gemacht habe, wohin sie verschwunden ist, bis ich sie in dem Diner gesehen habe. Wo ich ihre ganze Zaubernummer dann für einen gemeinen Streich hielt.
Aber wenn dieses seltsame grüne Licht nun wirklich woandershin führt?
Ich muss das ein für alle Mal klären.
Ich gebe mir einen Ruck und tauche völlig in das Grün ein. Alles ist sehr hell, jedoch ohne in den Augen zu blenden. Im Innern dieses Leuchtens erkenne ich irgendwie mehr, als in normalem Licht sichtbar ist, nicht wegen der größeren Helligkeit, sondern weil es alles tief zu durchdringen scheint. Als sähe ich meinen Arm und verstünde zugleich, woraus er besteht und auch den Raum, den er einnimmt.
Es fühlt sich an, als würde ich Elektrizität einatmen.
Ich blicke auf, um mich zu orientieren, und eine Welle der Panik schwappt über mich hinweg.
Der Strommast ist nicht mehr da.
Ich drehe mich um, ganz um mich selbst, wie ich glaube, doch ich bin völlig desorientiert. Alles, was ich wahrnehme, ist helles Licht. Mein Herz scheint explodieren zu wollen, und ich frage mich, wie Schweiß wohl mit elektrisch aufgeladener Luft reagiert. Vielleicht befinde ich mich in so einer Art Freiluft-Magnetfeld, das mein Hirn aufweicht. Vielleicht ist dieses Licht auch das Licht, das Leute bei Nahtoderfahrungen sehen. Man spürt keinen Schmerz beim Hinübergehen, genau wie es immer beschrieben wird.
Es ist mir recht zu sterben, wenn ich auf diese Weise Viv wiedersehen kann.
Ich schließe die Augen, sodass alles dunkel um mich herum wird, vertraut. Als läge ich zu Hause in meinem Bett und würde gerade einschlafen. Ich zwinge mich, Atem zu holen, und achte nicht auf das Blubbern tief in meiner Lunge. Dann strecke ich die Hände aus, atme noch einmal tief ein und mache einen Schritt. Und noch einen.
Schwankend taste ich mich voran, bis meine Finger etwas streifen, das sich wie Holz anfühlt. Ich öffne die Augen und sehe das splittrige Holz des Strommasts direkt vor mir. Erleichtert stürze ich mich darauf, nichts wie raus aus dem grünen Licht, stolpere und fange mich an dem stabilen Pfahl auf. Er ist fest und real, ich bin in Sicherheit. Trotzdem dauert es noch ein paar Minuten, ehe das elektrische Kribbeln unter meiner Haut nachlässt und ich mich endlich losreißen kann.
Das grüne Licht ist verschwunden, und ich stehe wieder im Dunkeln und starre auf den Mast, auf den Schrein.
Oder vielmehr auf die Stelle, wo er sein sollte.
Ein ausgefranstes weißes Band ist um die Mitte des Pfahls geknotet. Ein paar Papierschnipsel hängen dort noch, abgerissene Blütenblätter liegen auf dem Gehweg, und auf dem Fetzen einer Karte steht: Immer in unseren Herzen . Kein einziges Foto weit und breit. Ich zerre den Cheerleader-Schnappschuss aus der Hosentasche und gehe im Uhrzeigersinn um den Mast herum, doch da ist nichts mehr, keine sonstigen Überreste von Vivs Gedenkstätte.
Ich blicke auf das Foto in meiner Hand und hole japsend Luft beim Anblick von Vivs Lächeln. Wie lange hat meine Atmung zwischendurch gestockt?
Lange genug, um einen Schrein abzuräumen?
Unmöglich, das wäre total krank.
Nicht einmal Logan würde so etwas tun.
Vielleicht hat diese grüne Energie ja alles verdampfen lassen.
Aber warum dann nicht mich?
Ein leichter Wind kommt auf, der mich kühlt und meinen Kopf klar werden lässt.
Ninas Worte gehen mir wieder nach. » Es sieht hier aus wie zu Hause …«
Mein Magen verkrampft sich. Das Schulgebäude liegt im Dunkeln. Ich zwinge mich, noch einmal zu dem Mast hinzusehen, zu den Überbleibseln der Karten und dem Band, und dann jenseits davon zum Fenster des Kunstsaals – unbeschädigt. Ich schlucke schwer. Mein Blick sucht nach einem Halt, nach etwas Sicherem und Wiedererkennbarem. Das Bushäuschen steht dreckig und verlassen an der Ecke gegenüber. Die Büsche vor mir sind immer noch von dem Autounfall deformiert.
Ich halte mir den Mund zu, doch meine Augen bleiben offen.
ELF
N ina wohnt in der Genesee Street. Das hat mich neulich schon stutzig gemacht, weil Mike in derselben Straße wohnt und sie sich nicht zu kennen schienen. Doch sie ist die Einzige, die außer mir durch dieses Licht gegangen ist, also ist sie auch die Einzige, die mir erklären kann, was hier eigentlich los ist – hoffe ich. Als ich zur Genesee Street komme, erinnere ich mich nicht mehr genau an die
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