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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Hainsworth
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herbringen sollen. Und dort klafft eine leere Stelle, wo ein Foto von Viv fehlt. Mein Herz macht einen Satz vor Schreck, bevor es mir wieder einfällt und ich das zerknitterte Cheerleader-Bild aus der Hosentasche ziehe.
    Lange betrachte ich ihr Gesicht und umrunde dabei den Mast, vergleiche ihr unschuldiges Grinsen aus dem ersten Jahr mit dem reiferen Ausdruck der späteren Bilder. Das jüngste habe ich selbst hinzugefügt. Zuerst wollte ich es nicht dorthin hängen, doch dann fand ich, dass ihr Schrein nicht nur von denen gestaltet werden sollte. Der Schnappschuss ist auf einem Campingausflug eine Woche vor ihrem Tod entstanden. Wir waren draußen im Wald. Gegen Abend sind wir auf einen Felsvorsprung gestiegen, um uns den Sonnenuntergang anzusehen. Ich habe sie gerufen und geknipst, ehe sie mitbekommen hat, was ich da mache. Ihre Miene ist fragend, aber die Augen blicken dunkel und zufrieden. Hinter ihr lodert ein leuchtend orangegoldener Himmel über den Baumwipfeln und signalisiert das Ende des Tages, das Ende des Sommers. Auf diesem Trip fühlten wir uns wie die beiden letzten lebenden Menschen auf Erden. Sie hat mich geküsst und gesagt: » Ich war noch nie so glücklich.«
    Ich versetze dem Gebüsch einen halbherzigen Tritt. Die Gedenkstätte sieht aus wie immer. Ich weiß nicht, was ich zu finden gehofft habe. Die Straßenlampe über mir flackert, doch das Licht bleibt trüb. Hastig blicke ich über meine Schulter, halb fürchtend, dass Nina auftaucht, diesmal mit Logan im Schlepptau und immer noch in ihrer Schürze von Dina’s Diner. Sie werden zusammen mit Tash und Mike kommen und sich kaputtlachen, während ich mit den Armen rudernd im Gebüsch nach meinem Verstand suche.
    Was ist, wenn Logan mich tatsächlich in den Wahnsinn treiben will?
    Ich balle die Hände zu Fäusten, aber da ist nichts zum Draufschlagen, also boxe ich nach dem Schatten des Strommasts, nach genau der Stelle, an der, wie ich glaube, Vivs Kopf die Scheibe durchbrach.
    Etwas Grünes blitzt auf, und meine Finger kribbeln.
    Ich starre in die Dunkelheit.
    Es ist nichts zu sehen.
    Ich strecke den Arm aus, meine Finger werden durchscheinend grün. Ich bilde mir das nicht ein. Es ist, als würde man seine Hände in Wasser tauchen, das so klar ist, dass man es nicht sieht, bis die Finger darin schwimmen, und schon allein durch die Berührung damit wird einem bewusst, dass es unbekannte, unerforschte Tiefen hat. Ich wiederhole die Bewegung drei oder vier Mal und halte meinen Arm dann ganz hinein. Das elektrische Pulsieren setzt sich unter meiner Haut fort bis hinauf zum Bizeps. Es ist nicht gerade angenehm, tut aber auch nicht weh.
    Ich bin nicht verrückt – ich sehe es deutlich vor mir. Suchend blicke ich mich nach der Quelle des merkwürdigen grünen Leuchtens um, doch als ich die Arme senke, verschwindet es. Ich strecke sie wieder aus, denn mir ist wohler, wenn ich das Licht klar vor mir habe und seine Existenz nicht infrage zu stellen brauche. Könnte ich doch nur herausfinden, was es ist. Ich wedele mit einem Arm hin und her und stoße gegen etwas. Links unverkennbar gegen den Strommast, aber rechts scheint der Arm bloß von leerer Luft aufgehalten zu werden. Ich beuge mich vor und spüre nichts als dieses kribbelnde Feld. Durch das Grün kann ich immer noch die Schule sehen, direkt gegenüber. Ich halte die Luft an und mache einen Schritt nach vorn, recke mein Gesicht in das Licht. Meine Nase und die Backen vibrieren vor Energie, und als ich die Augen öffne und meine Hände ansehe, sind sie durchsichtig. Ich kann durch meine Haut, die Adern und Knochen hindurchsehen . Mir wird schlecht. Das ist nicht wahr …
    Es ist wahr.
    Ich will mich in sichere Gefilde zurückziehen, aber als ich durch das Grün geradeaus blicke, lässt mich irgendtwas an der Fassade der Schule stutzen. Sie sieht anders aus. Ich kneife die Augen zusammen; inzwischen kribbelt mir der ganze Kopf, und ich kann mich kaum konzentrieren. Etwas, das Nina gesagt hat, als ich sie verschwinden sah, kommt mir in den Sinn: » Es sieht hier aus wie zu Hause, aber dort drüben wohl auch.«
    Ich blinzele, mache noch einen Schritt und erkenne, woran es liegt. Das Fenster des Kunstsaals. Es sollte zugenagelt sein wegen eines Brands im Brennofen vor einiger Zeit – es ist schon seit fast einem Jahr verbarrikadiert. Das weiß ich so gut, weil Viv und ich in genau dem Kurs waren, in dem Scott Melore, das große Töpfertalent, ein Experiment mit einer Glasur machte, das nach hinten

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