Bis ich bei dir bin
Arbeitsflächen, sogar gelbe Plastikstühle, die aus dem Konferenzzimmer eines Raumschiffs zu stammen scheinen. Sie durchquert die Küche und schließt die Tür zu einer schmalen Hintertreppe.
»Ich will nicht, dass mein Bruder dich hört«, fährt sie mich an. »Du hast ihn schon genug erschreckt.«
Erst jetzt fällt mir auf, dass sie vollständig angezogen ist, Jeans und Pulli. Entweder ist sie absurd früh aufgestanden, oder sie war heute Nacht noch nicht im Bett.
»Was ist mit ihm?«
Sie zögert. »Er ist krank. Ich hatte ihn gerade wieder ins Bett gebracht, als du aufgetaucht bist.« Sie wirft genervt die Hände hoch. »Warum bist du herübergekommen?«
Das macht mich fertig. Jetzt soll ich mich ihr gegenüber rechtfertigen, dabei ist sie es, die mir einiges zu erklären hat!
»Weißt du überhaupt, wo du bist?«, fragt sie.
»Ich bin an dem Punkt, wo ich irgendwas zu Bruch schlagen will. Aber wie.«
»Nein, bitte nicht.« Sie reibt sich die Stirn. »Pass auf, du bist jetzt bei mir zu Hause – welches dort, wo du herkommst, nicht mein Zuhause ist. Ich verstehe selbst nicht so richtig, warum, aber es ist als ob … also, wo du herkommst und wo ich herkomme, das ist das Gleiche. Nur anders.«
Eine Tür im vorderen Teil des Hauses fällt ins Schloss.
Nina dreht den Kopf in Richtung Küchentür.
»Owen?«, ruft sie.
»Ich bin’s nur«, antwortet eine Frauenstimme. »Du bist früh auf.«
Schlüssel werden auf einen Tisch geworfen. Ich höre Rascheln, während sich jemand Jacke oder Stiefel auszieht. Nina sieht mich panisch an, packt mich am Arm und will mich zur Hintertür schieben. Ich stemme die Füße fest auf den Boden. Sie drückt mit aller Kraft, aber mit ihrer Statur kommt sie nicht gegen einen ehemaligen Footballstar an.
»Mach, dass du hier rauskommst!«, zischt sie.
»Wer ist das?«
»Geh einfach, geh, bitte!«
Sie kann mich nicht schnell genug zum Hinterausgang befördern, doch als sie an dem verschrammten Türknauf aus Messing zerrt, bewegt der sich nicht. Ihre Hand wandert automatisch zu dem Riegelschloss, nur dass da kein Schlüssel steckt. Sie tastet nach einem leeren Haken an der Wand. Ich ziehe selbst ein paar Mal an der Tür, als würde ausreichende Dringlichkeit sie öffnen. In der Diele vorn bricht die Frau in einen heftigen Raucherhusten aus, der lauter wird.
Nina sieht mich hektisch an, als wäre die Polizei vor der Tür und ich ihr Diebesgut. Sie wirbelt herum, ihr Blick schnellt zu der anderen Tür, die sie eben noch zugemacht hat.
»Die Treppe rauf«, flüstert sie und zerrt mich dorthin.
»Auf keinen Fall!«
»Tante Car wird in einer Viertelstunde eingeschlafen sein, bleib einfach so lange in meinem Zimmer.«
»Und dann?«
Ich stehe schon auf der zweiten Stufe und will flüsternd mit ihr debattieren, doch die Frauenstimme – Tante Cars vermutlich – treibt mich auf den Treppenabsatz und weiter hinauf, bis ich den Flur oben erreiche.
»Owen muss heute wieder zur Schule gehen, das habe ich dir doch …«
»Wird er auch«, erwidert Nina fest.
Ein Küchenschrank wird zugeschlagen, und die Frau seufzt schwer.
»Gut. Ich hatte eine lange Nacht. Sorg dafür, dass er in den Schulbus steigt. Ich geh ins Bett.«
»Nein, warte, ich könnte … dir Pfannkuchen backen!« Ninas Stimme klingt zu schrill.
»Pfannkuchen?«
»Ich wollte sowieso welche machen, für Owen.«
Ein schwacher Geruch nach verbrannten Pop-Tarts-Toastkuchen weht kurz darauf die Treppe hinauf.
»Okay, mir langt’s.« Tante Cars Stimme klingt jetzt lauter, näher und als ob sie mit vollem Mund spricht. »Dieses zuckerfreie Zeug ist Mist.«
Nina ruft: »Na, dann schlaf schön – dort oben! «
Schwere Schritte kommen auf mich zu. Ich weiche von der Treppe zurück. Rechts von mir sind zwei Türen, beide geschlossen. Gegenüber steht eine Zimmertür halb offen, daneben ist ein Badezimmer. Der Flur macht eine Biegung um die Ecke und führt Gott weiß wohin. Nur eine Tür darf ich nicht erwischen – die zum Schlafzimmer der Tante. Ich stürze mich durch die einzige, die offen ist.
Leise klickend schließt sie sich hinter mir. Die Schritte erreichen die oberste Stufe und verharren. Ich höre schmatzendes Kauen, das kurz darauf näher kommt, und halte die Luft an.
Auf der anderen Seite des Flurs wird eine Tür auf- und wieder zugemacht. Erleichtert lasse ich mich gegen den Holzrahmen sinken.
Auf einmal hustet jemand hinter mir, und ich fahre herum.
Owen sitzt auf einer Tagesdecke mit einem Muster aus
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